Grundwissen:
♥Titel♥: Faust I - Der Tragödie erster Teil
♥Autor/-in♥: Johann Wolfgang von Goethe
♥Erschienen♥: erstmals 1808; 1986 im Reclam-Verlag; 13.09.2013 im Schöningh-Verlag
♥Seitenanzahl♥: 154 Seiten (Schöningh-Ausgabe)
♥Preis♥: 2, 20 € (Taschenbuch; Reclam); 5, 95 € (Taschenbuch; Schöningh)
♥Genre♥: Drama [Theaterstück; Tragödie]; Klassiker; Fantasy
Inhalt:
Du bist dir nur des einen Triebs bewusst,
O lerne nie den andern kennen!
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
- Heinrich Faust (S. 39)
Du bist dir nur des einen Triebs bewusst,
O lerne nie den andern kennen!
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
- Heinrich Faust (S. 39)
Obwohl Doktor Heinrich Faust jegliche Geistes- und Naturwissenschaften studiert hat und über ein hohes Ansehen innerhalb der Gesellschaft verfügt, fühlt er in sich dennoch eine gewisse Leere aufsteigen und weiß nichts mit sich anzufangen. Dies geht sogar soweit, dass er eines Nachts dem Selbstmord geneigt ist. In seiner Verzweiflung wendet er sich von seiner von Vernunft geprägten Einstellung ab und schließt einen Pakt mit dem Teufel Mephistopheles, der insgeheim mit Gott eine Wette geschlossen hat: Faust als Diener Gottes von seinem rechten Weg abzubringen. Sollte Mephistopheles es schaffen, ihm Lebensglück zu bescheren, so würde Fausts Seele auf ewig ihm gehören. Gemeinsam stürzt sich dieses ungleiche Paar in das, was man ein leichtes Leben nennt. Doch während der Teufel seinen Spaß hat und auch Faust sich immer mehr in seinen Bann gesogen sieht, gestaltet Faust das Leben seines Objekts der Begierde, einem vierzehnjährigen Mädchen namens Gretchen, alles andere als leicht ...
Meine Meinung ...
zum Cover:
Deutsches Cover Nr. 2: ♥♥♥ |
Amerikanisches Cover Nr. 2: ♥♥♥♥ |
Der weltbekannte Klassiker deutscher Literatur hat zugegebenermaßen keine schöne Hülle bekommen, weder im Heimatland noch im Ausland. Während das erste deutsche Cover bloße Strichzeichnungen der drei wichtigsten Figuren des Stückes zeigt und wie diese zueinander stehen, sieht man bei der zweiten Aufmachung bloß Faust als zentrale Figur des Dramas, dessen rationales, aber auch verwirrtes Wesen angemessen dargestellt wird. Die amerikanischen Cover zeigen sich etwas kreativer, insbesondere die knöcherne Hand, die den Vertrag des Teufels mit Blut unterzeichnet ist eine wirklich schöne Idee. Gleichzeitig ist die zweite Aufmachung aus dem Ausland sehr eindrucksvoll, wenn es um die Darstellung von der Bindung zwischen Mephisto und Faust geht, da sie zwar schon miteinander befreundet sind, diese Freundschaft sich jedoch insbesondere für Faust sehr negativ auswirkt.
Faust als Titel ist hierbei Geschmackssache, ich jedoch finde es immer relativ einfallslos, ein Werk nach seinem Protagonisten zu benennen. Und ob man dies wirklich eine Tragödie nennen kann ... darüber lässt sich auch streiten.
Dies ist nicht nur eine ideale Beschreibung des klimatischen Aufbaus dieses Buches, sondern auch für die Entwicklung der wichtigsten Figuren dieses Dramas. Während Faust verzweifelt versucht, sich eine innere Zufriedenheit aufzubauen, dabei jedoch gleichzeitig im Hinterkopf behalten muss, dass er seine Seele verliert, sobald er glücklich ist, sodass er innerhalb jeder Situation nur verlieren kann, muss Gretchen sich mit ihrem bis dahin unberührten Glauben auseinandersetzen, der der Leitfaden in ihrem Leben ist, bis sie auf Heinrich Faust trifft. Und in diesem Prozess der Selbstfindung und der Fragestellung, was im Leben gut, was schlecht und was wichtig ist, hat Mephisto nur äußerst gerne seine Finger im Spiel.
Er ist - vielleicht sogar traurigerweise - derjenige, mit dem man als Leser noch am meisten sympathisiert, obwohl er gelinde ausgedrückt ein Mistkerl ist, der sich um nichts schert außer sich selbst und eine ungeheure Freude daran hat, Fausts Leben zu ruinieren, ohne dies jedoch intentionell zu tun. So clever er nämlich auch ist, so manipulativ ist er auch, da Faust ihn im Laufe des Dramas viele Male beschuldigt, ihn verführt und zu schlechten Taten gebracht zu haben, Mephisto jedoch durchaus Recht damit hat, dass er immer nur suggeriert, zeigt, allerdings Faust die letztliche Entscheidung trifft. Das Tüpfelchen auf dem i wäre sein herrlich bissiger Humor, der sich durch diese Tragödie zieht und sie eher zu einer Komödie macht, die man äußerst gerne begleitet. Insofern ist er wirklich ein perfekter Gegenspieler, dem man es nicht verdenken kann, anziehend und lockend auf Menschen zu wirken. Wiederum ein Beweis dafür, dass Böses nicht unbedingt schlecht sein muss.
Die anderen Figuren jedoch sind nicht einmal halb so sympathisch. Denn während Mephisto zu seiner Arroganz, Überheblichkeit und dem Leben als Parasit steht, möchte Faust sich nicht als schlechte Person sehen, obwohl er definitiv den Pfad des Schlechten und Zerstörerischen beschritten hat. Dies führt Mephistopheles ihm auch mehrmals wunderbar vor Augen, da diese Doppelmoral Fausts einem wirklich an die Nieren geht und er auch mit seiner ständigen Unzufriedenheit definitiv kein Mensch ist, den man um sich herum haben möchte, auch wenn er selbst die Schuld an seiner prekären Lage trägt. Als alter Doktor mit einer Menge Scheinwissen und dem unstillbaren Durst nach Vollkommenheit, jedoch auch dem Streben nach Lebensfreude und materiellem Glück ist er zwar tiefgründig, da manch einer diesen inneren Konflikt kennen kann, jedoch begeht er in diesem dünnen Drama so viele unverzeihliche Fehler, dass man ihn einfach nicht mehr sympathisch finden kann. Wenn man generell beachtet, dass er eine Vierzehnjährige ins Bett kriegen möchte und das naive Ding dazu so schrecklich heuchlerisch umgarnt, bloß um ihr Leben zu zerstören - wie kann man da diesen älteren Herren noch als den guten und rechten Menschen bezeichnen, als den Gott ihn sieht?
Wer jedoch noch schrecklicher zu ertragen ist als Faust ist Margarete. Wenn es irgendwo eine Ursprungsform von einer Mary Sue gäbe, so wäre sie definitiv eine der Hauptverdächtigen. Natürlich entspricht sie vor allem in diesem zarten Alter dem damaligen Zeitgeist, jedoch wird sie wohl vor allem denjenigen auf die Nerven fallen, die das altmodische Frauenbild komplett ablehnen. Bodenlos naiv, wunderschön, aber äußerst bescheiden im Umgang mit ihrem attraktiven Äußeren, eine Mitläuferin, hochgläubig, wenn nicht sogar fast fanatisch in diesem Punkt, und natürlich bodenständig rein, so rein, dass sie der Teufel nicht mal zu berühren vermag. Natürlich bleibt dies aufgrund ihrer Beziehung zu Faust nicht so, doch bis sie an diesem Punkt angelangt ist, an dem sie sich entweder entscheiden muss zu zerbrechen oder zu wachsen, vergeht eine enorm lange Zeit, in der der Leser sie darüber jammern hört, warum ein so wackrer Bursche wie Faust Interesse an einem so hässlichen und ,,arm unwissend Kind'' (V. 3215) hegen kann. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihr Leben auseinanderfällt, ist sie auch alles andere als interesseerweckend, gewinnt jedoch an Tiefe durch ihre innere Zerrissenheit, bis sie dies schließlich in den Wahnsinn treibt. Ab diesem Moment möchte man sie prinzipiell nur retten und Faust verprügeln.
Ebenso ist es aufgrund der größtenteils unausstehlichen Figuren der Fall, dass die Geschichte etwas langgezogen wirkt, insbesondere in der anfänglichen Phase Mephistos und Fausts und der Zeitspanne, in der Faust versucht, das junge Gretchen zu verführen. Es hätten durchaus einige Szenen gekürzt oder sogar vollkommen gestrichen werden können, insbesondere wenn Goethe Fantasyelemente eingestreut hat, die an sich nicht unbedingt notwendig gewesen wären. Insbesondere einige Ereignisse in der Walpurgisnacht fördern nicht unbedingt die Entwicklung der Handlung, sodass man sich eine Zeitlang eher auf der Stelle zu bewegen scheint, es sei denn, man findet es interessant, Hexen auf dem Blocksberg herumfliegen zu sehen oder mitzuerleben, wie Faust versucht, eine Minderjährige zu begatten wie ein Esel mit einer dauerhaften Erektion. Zwar hat Goethe wohl vor allem die Walpurgisnacht dazu genutzt, Kritik an gewissen Umständen seiner eigenen Zeit auszuüben, jedoch müsste man sich hierzu tiefer in die Materie knien, um dies nachzuvollziehen. Dies trübt jedoch nicht die Tatsache, dass Goethe eine wirklich originelle Geschichte entworfen hat, von der Wette zwischen Gott und Teufel und auch den lustigen Abenteuern eines Jammerlappens und einem Zyniker mit Pferdebein bis hin zu dem Ende des ersten Teils, das die Fortsetzung der Geschichte in eine andere Dimension überleitet. Insbesondere in den letzten Szenen wirkt die Spannung sehr hoch und nicht nur Fausts und des Teufels Freundschaft, sondern auch das Leben Gretchens am seidenen Faden hängt, vor allem da dies zeigt, dass man zwar eine Weile durchaus damit davonkommt, sich anders zu verhalten als man es eigentlich tut, früher oder später jedoch die Realität einen einholt.
Insgesamt ein wahrlich überraschenderweise unterhaltsames Stück, das nicht nur einen interessanten philosophischen Leitfaden, sondern auch eine einnehmende und innovative Geschichte verfolgt, die zeigt, dass Menschen sich nicht so leicht in Schubladen einsortieren lassen und dass es ein Chaos auslösen kann, sobald man versucht, aus dieser imaginären Schublade hinauszugelangen. Gespickt wird dies mit sehr poetischen Monologen und Dialogen, wobei letztere vor allem zwischen dem Teufel und Protagonisten sehr gute Schlagabtausche bilden und letztlich dieser Tragödie komödienhafte Elemente hinzufügen. Betrachtet man jedoch die Personen innerhalb dieses Dramas, so wird man sich vielfach über diese aufregen können und durch all die Entscheidungen und Ereignisse sogar meinen, dass diese Geschichte durchaus ein Fall für RTL sein könnte, denn nehme man all die Philosophie dahinter weg, so wäre es bloß die Geschichte eines alten pädophilen Knackers, der seinen Samen loswerden will. Eine solide und besondere Geschichte mit einer platten Grundstory, jedoch schmuckvollem Gedankengut drumherum.
Faust als Titel ist hierbei Geschmackssache, ich jedoch finde es immer relativ einfallslos, ein Werk nach seinem Protagonisten zu benennen. Und ob man dies wirklich eine Tragödie nennen kann ... darüber lässt sich auch streiten.
zum Buch:
Die Geschichte um den historischen Doktor Faust erfreute sich schon zu Lebzeiten Goethes einer großen Kontroverse und steht schon jahrelang auf den zu lesenden Lektüren in der Schule. Doch ist diese Kontroverse, diese Beliebtheit durch so viele Jahrhunderte hindurch tatsächlich berechtigt?
Wofür man Goethe tatsächlich loben muss und was zumindest kein mir bekannter damaliger Schriftsteller der Epoche der Klassik besser genutzt hätte, ist die Dichtung innerhalb seines Schauspiels. Denn nicht nur sind die Reimarten verschieden und können in ihren einzelnen Strukturen variieren, sondern auch das Harmonieren der Reime über den Redeanteil einer Person hinaus ist wirklich beeindruckend und vor allem für Liebhaber der Lyrik oder Lyriker im Allgemeinen ein reiner Augenschmaus. Vor allem aufgeführt müsste dies die Geschichte sogar wie ein Gedicht oder sehr harmonisches Lied erscheinen lassen, da die Figuren so miteinander verwoben scheinen und jede Antwort oder jede Kritik seitens eines Dialogpartners passend ist und man nicht das Gefühl erlangt, als hätte sich Goethe um Kopf und Kragen gedichtet. Insofern ist die philosophische, jedoch - vor allem in Mephistos Fall sehr ausgeprägte - zynische und sarkastische Redensart der Charaktere wirklich einnehmend und lässt sich von dem sehr veralteten und poetischem Deutsch abgesehen sehr flüssig lesen. Zwar sind die Monologe der Charaktere teilweise wirklich seitenlang und nach einer Weile kann es anstrengend sein, dem zu folgen, jedoch wird dies regelmäßig von sehr unterhaltsamen Dialogen abgelöst, sodass man alles in allem nicht überanstrengt wird.
Generell ist die Dynamik zwischen den Figuren auch etwas, was hervorgehoben werden muss. Sowohl die Beziehung Fausts zu Gretchen als auch jene zu Mephisto sind sehr konträr zueinander dargestellt und zumindest letztere voller Herumstichelei und einer Art Hassfreundschaft, die trotz all ihrer ungesunden Aspekte auch ihre guten Seiten besitzt. Dies ist nämlich einer der zentralen Aspekte des Dramas, da Gut nicht unbedingt gut und das Böse nicht unbedingt böse ist. Haben nicht alle Menschen eine Zeit in ihrem Leben, in der sie vernünftige Handlungen und Verantwortung ablehnen und sich einfach noch mal jung, frei und uneingeschränkt fühlen wollen? In der sie auf den Putz hauen und sich bewusst mit den falschen Leuten umgeben, weil man diesen Kick, den man spürt, wenn man bewusst etwas Falsches und Gefährliches tut, spürt? In der es sich ausnahmsweise gut anfühlt, moralisch Verwerfliches zu tun und erneut zu lernen, dass Gut und Böse weitaus vielschichtiger und schwerer zu definieren sind, als man zunächst annehmen kann? Insofern kann man Fausts Entscheidung, sich dem Teufel zuzuwenden, durchaus verstehen, kann jedoch gleichermaßen nachvollziehen, dass er sich anfangs seiner Entscheidung unsicher ist und auch im Nachhinein noch Zweifel aufkommen. Denn jeder eigentlich gute Mensch möchte auch eigentlich einer bleiben, egal was diesem widerfahren sein oder was er verloren haben mag, was auch der Grund ist, warum Gott sich so leichtfertig auf eine Wette mit Satan einlässt. Es ist durchaus interessant zu sehen, dass nicht nur Faust, sondern auch das junge Gretchen im Laufe dieses ersten Teils der Tragödie herausfinden muss, wie man Positives und Negatives definiert und ob es dazu tatsächlich eine einheitliche Regelung geben kann. Insbesondere die Religiösität Gretchens bzw. Margaretes beißt sich zunehmend mit ihrer Liebe zu Faust, was in einem Zeitalter, in dem ein Mädchen Hure geschimpft wurde, sobald es einem Mann nahestand, ohne mit diesem eine Ehe einzugehen, durchaus nachvollziehbar ist. Nicht umsonst also wird in dem Vorkapitel dieses Dramas, das die Entwicklung der Idee für dieses Stück darstellen soll, gesagt:
,,So schreitet in dem engen Bretterhaus/Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,/ Und wandelt mit bedächt'ger Schnelle/ Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.''
Dies ist nicht nur eine ideale Beschreibung des klimatischen Aufbaus dieses Buches, sondern auch für die Entwicklung der wichtigsten Figuren dieses Dramas. Während Faust verzweifelt versucht, sich eine innere Zufriedenheit aufzubauen, dabei jedoch gleichzeitig im Hinterkopf behalten muss, dass er seine Seele verliert, sobald er glücklich ist, sodass er innerhalb jeder Situation nur verlieren kann, muss Gretchen sich mit ihrem bis dahin unberührten Glauben auseinandersetzen, der der Leitfaden in ihrem Leben ist, bis sie auf Heinrich Faust trifft. Und in diesem Prozess der Selbstfindung und der Fragestellung, was im Leben gut, was schlecht und was wichtig ist, hat Mephisto nur äußerst gerne seine Finger im Spiel.
Er ist - vielleicht sogar traurigerweise - derjenige, mit dem man als Leser noch am meisten sympathisiert, obwohl er gelinde ausgedrückt ein Mistkerl ist, der sich um nichts schert außer sich selbst und eine ungeheure Freude daran hat, Fausts Leben zu ruinieren, ohne dies jedoch intentionell zu tun. So clever er nämlich auch ist, so manipulativ ist er auch, da Faust ihn im Laufe des Dramas viele Male beschuldigt, ihn verführt und zu schlechten Taten gebracht zu haben, Mephisto jedoch durchaus Recht damit hat, dass er immer nur suggeriert, zeigt, allerdings Faust die letztliche Entscheidung trifft. Das Tüpfelchen auf dem i wäre sein herrlich bissiger Humor, der sich durch diese Tragödie zieht und sie eher zu einer Komödie macht, die man äußerst gerne begleitet. Insofern ist er wirklich ein perfekter Gegenspieler, dem man es nicht verdenken kann, anziehend und lockend auf Menschen zu wirken. Wiederum ein Beweis dafür, dass Böses nicht unbedingt schlecht sein muss.
Die anderen Figuren jedoch sind nicht einmal halb so sympathisch. Denn während Mephisto zu seiner Arroganz, Überheblichkeit und dem Leben als Parasit steht, möchte Faust sich nicht als schlechte Person sehen, obwohl er definitiv den Pfad des Schlechten und Zerstörerischen beschritten hat. Dies führt Mephistopheles ihm auch mehrmals wunderbar vor Augen, da diese Doppelmoral Fausts einem wirklich an die Nieren geht und er auch mit seiner ständigen Unzufriedenheit definitiv kein Mensch ist, den man um sich herum haben möchte, auch wenn er selbst die Schuld an seiner prekären Lage trägt. Als alter Doktor mit einer Menge Scheinwissen und dem unstillbaren Durst nach Vollkommenheit, jedoch auch dem Streben nach Lebensfreude und materiellem Glück ist er zwar tiefgründig, da manch einer diesen inneren Konflikt kennen kann, jedoch begeht er in diesem dünnen Drama so viele unverzeihliche Fehler, dass man ihn einfach nicht mehr sympathisch finden kann. Wenn man generell beachtet, dass er eine Vierzehnjährige ins Bett kriegen möchte und das naive Ding dazu so schrecklich heuchlerisch umgarnt, bloß um ihr Leben zu zerstören - wie kann man da diesen älteren Herren noch als den guten und rechten Menschen bezeichnen, als den Gott ihn sieht?
Wer jedoch noch schrecklicher zu ertragen ist als Faust ist Margarete. Wenn es irgendwo eine Ursprungsform von einer Mary Sue gäbe, so wäre sie definitiv eine der Hauptverdächtigen. Natürlich entspricht sie vor allem in diesem zarten Alter dem damaligen Zeitgeist, jedoch wird sie wohl vor allem denjenigen auf die Nerven fallen, die das altmodische Frauenbild komplett ablehnen. Bodenlos naiv, wunderschön, aber äußerst bescheiden im Umgang mit ihrem attraktiven Äußeren, eine Mitläuferin, hochgläubig, wenn nicht sogar fast fanatisch in diesem Punkt, und natürlich bodenständig rein, so rein, dass sie der Teufel nicht mal zu berühren vermag. Natürlich bleibt dies aufgrund ihrer Beziehung zu Faust nicht so, doch bis sie an diesem Punkt angelangt ist, an dem sie sich entweder entscheiden muss zu zerbrechen oder zu wachsen, vergeht eine enorm lange Zeit, in der der Leser sie darüber jammern hört, warum ein so wackrer Bursche wie Faust Interesse an einem so hässlichen und ,,arm unwissend Kind'' (V. 3215) hegen kann. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihr Leben auseinanderfällt, ist sie auch alles andere als interesseerweckend, gewinnt jedoch an Tiefe durch ihre innere Zerrissenheit, bis sie dies schließlich in den Wahnsinn treibt. Ab diesem Moment möchte man sie prinzipiell nur retten und Faust verprügeln.
Ebenso ist es aufgrund der größtenteils unausstehlichen Figuren der Fall, dass die Geschichte etwas langgezogen wirkt, insbesondere in der anfänglichen Phase Mephistos und Fausts und der Zeitspanne, in der Faust versucht, das junge Gretchen zu verführen. Es hätten durchaus einige Szenen gekürzt oder sogar vollkommen gestrichen werden können, insbesondere wenn Goethe Fantasyelemente eingestreut hat, die an sich nicht unbedingt notwendig gewesen wären. Insbesondere einige Ereignisse in der Walpurgisnacht fördern nicht unbedingt die Entwicklung der Handlung, sodass man sich eine Zeitlang eher auf der Stelle zu bewegen scheint, es sei denn, man findet es interessant, Hexen auf dem Blocksberg herumfliegen zu sehen oder mitzuerleben, wie Faust versucht, eine Minderjährige zu begatten wie ein Esel mit einer dauerhaften Erektion. Zwar hat Goethe wohl vor allem die Walpurgisnacht dazu genutzt, Kritik an gewissen Umständen seiner eigenen Zeit auszuüben, jedoch müsste man sich hierzu tiefer in die Materie knien, um dies nachzuvollziehen. Dies trübt jedoch nicht die Tatsache, dass Goethe eine wirklich originelle Geschichte entworfen hat, von der Wette zwischen Gott und Teufel und auch den lustigen Abenteuern eines Jammerlappens und einem Zyniker mit Pferdebein bis hin zu dem Ende des ersten Teils, das die Fortsetzung der Geschichte in eine andere Dimension überleitet. Insbesondere in den letzten Szenen wirkt die Spannung sehr hoch und nicht nur Fausts und des Teufels Freundschaft, sondern auch das Leben Gretchens am seidenen Faden hängt, vor allem da dies zeigt, dass man zwar eine Weile durchaus damit davonkommt, sich anders zu verhalten als man es eigentlich tut, früher oder später jedoch die Realität einen einholt.
Insgesamt ein wahrlich überraschenderweise unterhaltsames Stück, das nicht nur einen interessanten philosophischen Leitfaden, sondern auch eine einnehmende und innovative Geschichte verfolgt, die zeigt, dass Menschen sich nicht so leicht in Schubladen einsortieren lassen und dass es ein Chaos auslösen kann, sobald man versucht, aus dieser imaginären Schublade hinauszugelangen. Gespickt wird dies mit sehr poetischen Monologen und Dialogen, wobei letztere vor allem zwischen dem Teufel und Protagonisten sehr gute Schlagabtausche bilden und letztlich dieser Tragödie komödienhafte Elemente hinzufügen. Betrachtet man jedoch die Personen innerhalb dieses Dramas, so wird man sich vielfach über diese aufregen können und durch all die Entscheidungen und Ereignisse sogar meinen, dass diese Geschichte durchaus ein Fall für RTL sein könnte, denn nehme man all die Philosophie dahinter weg, so wäre es bloß die Geschichte eines alten pädophilen Knackers, der seinen Samen loswerden will. Eine solide und besondere Geschichte mit einer platten Grundstory, jedoch schmuckvollem Gedankengut drumherum.
Ich gebe dem Buch:
♥♥♥.♥ Herzchen (3.75)
Extra:
Wer an einer kurzen, satirischen Zusammenfassung dieses Werks interessiert ist, der möge hier klicken und sich dieses unterhaltsame Video ansehen :3
CU
Sana
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