Freitag, 8. Januar 2016

:)Rezension:): Der Sandmann

Grundwissen:


Titel: Der Sandmann
Autor/-in: E. T. A. Hoffmann
Erschienen: 2004 im Schöningh-Verlag (Taschenbuch); 1986 im Reclam-Verlag (Taschenbuch); ursprünglich 1816
Seitenanzahl: 46 Seiten ohne Anhang
Preis: 4, 95 € (Schöningh, Taschenbuch); 2, 00 € (Reclam; Taschenbuch)
Genre: Briefroman; Erzählung; Märchen; Mindfuck; ,,Thriller''





Inhalt:


Es ist auch gewiss, [...] dass die dunkle psychische Macht, haben wir uns ihr hingegeben, oft fremde Gestalten die die Außenwelt uns in den Weg wirft, in unser Inneres hineinzieht, sodass wir selbst nur den Geist entzünden, der, wie wir in wunderlicher Täuschung glauben, aus jener Gestalt spricht. Es ist das Phantom unseres eigenen Ichs, dessen innige Verwandtschaft und dessen tiefe Einwirkung auf unser Gemüt uns in die Hölle wirft oder in den Himmel verzückt. - Lothar



Schon seit Kindertagen ist der Student Nathanael fasziniert von dem Sandmann, der ihn und seine Familie immer besucht hat, sobald diese zu Bett gehen sollten. Jede Nacht lauscht er den Schritten und der Stimme dieser geheimnisvollen Gestalt, bis er schließlich den Entschluss fasst, ihm leibhaftig gegenüberzutreten. Ein folgenschwerer Fehler, denn was er durch ihn und mit ihm erlebt, traumatisiert Nathanael für sein gesamtes restliches Leben. Seitdem gibt es keine Spur mehr von dem geheimnisvollen Mann, Nathanael scheint nun wirklich glücklich werden zu können - bis er einem Wetterglasverkäufer begegnet, den er unweigerlich mit seinem persönlichen Albtraum in Verbindung bringt ...






Meine Meinung ...





zum Cover:



Deutsches Cover Nr.1: ♥♥♥
Deutsches Cover Nr.2: ♥♥♥♥

Englisches Cover: ♥♥♥


In diesem Fall finden sich wenige Cover, die tatsächlich aus der Masse hervorstechen. Die deutschen Cover hier sind noch die annehmbarsten, die ich finden konnte, wobei mir insbesondere die zweite Aufmachung wahnsinnig zusagt. Sie ist düster, sie ist dezent, sie hat etwas sehr Gruseliges und zeigt dazu noch ein wichtiges Thema in diesem Buch - was würde ich geben, diese Ausgabe zu haben! Das erste deutsche Cover hingegen zeigt wahrscheinlich die Szene des Buches, in der Nathanaels komplettes Leben auf den Kopf gestellt wird, hätte jedoch interessanter gestaltet werden können. Das englische Cover hingegen hat zwar durch den Wald wenig Bezug zu der Geschichte, allerdings vermittelt es eben das Mysterium um den geheimnisvollen Sandmann. Da er der Auslöser für Nathanaels Trauma ist, ist natürlich auch der Titel in jedem Fall gut gewählt.





zum Buch:






Mit Romantik verbindet man häufig kitschige Liebesgeschichten voller Sehnsucht, Mondschein und rosaroter Zuckerwatte. Die dunkle Seite davon, nämlich Schmerz, Tod und dunkle Magie, vergisst man häufig, weswegen Der Sandmann genau aus diesem Grund etwas ganz Besonderes innerhalb dieser Literaturepoche darstellt. Denn was man in dieser knappen Seitenanzahl zu liefern bekommt, sind Traumata, Wege damit umzugehen und für das 19. Jahrhundert wirklich sinnvolle und verständliche Psychologie, obwohl Freud erst einhundert Jahre später seine ersten Theorien entwickelte.
All diese dunklen Seiten werden insbesondere durch die Atmosphäre der Erzählung unterstrichen. Man beginne dieses Buch nach einem langen Tag mitten in der Nacht oder abends im Bett, und insbesondere der Anfang der Geschichte wird einem einen Schauer über den Rücken jagen. Es ist durchaus verständlich, warum die Figur des Sandmannes solche Auswirkungen auf den Protagonisten hat, und die Ereignisse, die mit dieser Kreatur verknüpft sind, sind umso erschreckender. Auch wenn er dies anfangs nur in einem Brief an seinen Freund Lothar erzählt, man kann die Angst und die Gänsehaut Nathanaels deutlich spüren und empfindet sein Grauen mit. Aus diesem Grund ist es auch verständlich, dass er die Beruhigungsversuche seiner Freunde eher als störend empfindet und die Person, die ihn an die Verkörperung des Sandmannes erinnert, eine solche Paranoia in ihm auslöst. Die gesamte Stimmung in diesem an dunkle Märchen erinnernden Werk vermittelt ein Gefühl der Irrealität, des Vermischens von Fiktion und Wahrheit, was einen sehr an die Geschichte fesselt und man nur zu gerne wüsste, ob die Paranoia Nathanaels berechtigt ist. 
Nathanael selbst ist auch ein sehr faszinierender Charakter. Dadurch, dass man sein traumatisches Ereignis miterlebt, kann man seine Obsession bezüglich diesem düsteren Mysterium sehr gut verstehen, auch wenn es kranke Ausmaße annimmt und er sich irgendwann von seiner Umwelt komplett isoliert, der wahren Welt den Rücken kehrt. Da der einzige, der die einschneidende Veränderung in seinem Leben mitbekommen hat, tot ist, fühlt er sich sowohl von seinem sozialen Umfeld als auch von allen anderen unverstanden, und da bietet die Welt der Schwarzen Romantik eine sehr gute und auch einnehmende Ablenkung, auch wenn er nach und nach den Verstand verliert. Aus diesem Grund erlebt man aus seiner Perspektive mit, wie sich alles in gewisser Weise verdreht und man am Ende genauso ratlos dasteht wie er und mit gebundenen Händen zusehen muss, wie er sich in eine unwiderrufliche Spirale des Wahnsinns fallen lässt.
Über die anderen Charaktere wie Clara, Nathanaels Freundin, und Lothar erfährt man nur äußerst wenig, da sie auch mit fortschreitender Handlung immer weniger vorkommen und für Nathanael verblassen. Dennoch bietet vor allem Clara im Gegensatz zu ihrem Geliebten, die rationale Figur innerhalb dieser Geschichte, die sich seine Erlebnisse und Obsession vernünftig zu erklären versucht, was ihren Freund erheblich stört. Dadurch gerät ihre Beziehung in Gefahr und ist während der Erzählung ein einziges Auf und Ab. Doch obwohl - oder vielleicht weil? - sie ihm Widerworte gibt, bildet sie die sympathischste Figur Des Sandmannes. Auch wenn man die Bewunderung Nathanaels für das Dunkle verstehen kann, man identifiziert sich eher mit ihr, die einen neutralen Blick auf die Welt hat und sich durch nichts scheinbar Übernatürliches aus der Ruhe bringen lässt. Sie wirkt somit sehr modern eingestellt, was darauf hindeuten kann, dass die Romantik sich strikt gegen die Moderne und die damit verknüpfte Maschinerie und Vernunft wendet. Aus diesem Grund klafft eine große Schlucht zwischen den beiden Geliebten, so weit gehend, dass Nathanael sie irgendwann als Automat beleidigt.
Doch nicht nur unter den Charakteren gibt es eine einnehmende Dynamik, sondern auch im Verlauf der Geschichte. Was als Tragödie beginnt, verstrickt sich im Laufe der Zeit zu einem schwarzen Loch. Es passiert oberflächlich gesehen vielleicht nicht viel, allerdings bleibt einem doch ein flaues Gefühl im Magen, weil irgendwas faul zu sein scheint. Manch einer kann es vielleicht erraten oder erahnen, allerdings macht es dennoch Spaß, die Geschichte weiterzuverfolgen, weil doch die gesamte Zeit über die gruselige Gestalt des Sandmanns alles zu beeinflussen scheint. Die Geschehnisse erscheinen wie der pure Mindfuck, von Anfang bis Ende, weswegen man doch alldem mit Unbehagen gegenübersteht, sich aber trotzdem nicht so ganz davon lösen kann. Vor allem Nathanaels Veränderung durch bestimmte Personen, die er trifft, sind ziemlich erschreckend und geben einem das Gefühl, dass man gemeinsam mit ihm wie Alice im Wunderland gelandet ist. Jedoch nicht wie in der niedlichen Disney-Version, sondern eher wie in der Videospieladaption Alice: Madness Returns. Wenn man es mag, Menschen zu analysieren und Verhaltensweisen zu hinterfragen, so ergibt das alles aber dennoch noch Sinn, sogar eine kleine Instant Love Geschichte, die auftrifft, sowohl durch Kompensierung als auch durch das Zurechtrücken der Realität. Generell spielt hier der Umgang mit Problemen eine große Rolle, und was geschieht, wenn eine Person dies nicht bewältigen kann und letztlich daran zerbricht, was vor allem wegen diesem Aspekt der Surrealität gut rübergebracht wird.
Doch auch wenn es eine märchenhaft unheimliche Stimmung besitzt und dadurch den Leser fesselt, ein klein wenig problematisch kann man den Antagonisten sehen. Wie bereits erwähnt ist er wirklich ein Albtraum von Kreatur und durch seine scheinbare Omnipräsenz sehr faszinierend. Auch, dass es an die dunklen Grimmmärchen erinnert, in denen es eben keine Verniedlichung gibt und in denen doch einige schreckliche Dinge geschehen, verleiht dem Bösewicht der Geschichte einen Pluspunkt, ebenso wie die Frage, ob die von Nathanael verdächtigte Gestalt wirklich etwas mit dem Schrecken seiner Kindheit zu tun hat. Was jedoch stört ist, dass man dafür keine klare Antwort findet, weil sich mehrere Aspekte hierin widersprechen. Aufgrund von Spoilern kann man dazu nicht mehr viel sagen, doch was einen wundern kann, sind die Motive des Sandmanns. Warum der kleine Nathanael sein Opfer wurde, ist klar, allerdings nicht, warum er nach wie vor hinter ihm her sein könnte, obwohl das Ereignis schon viele, viele Jahre zurückliegt, allerdings nicht. Denn weder wurde er durch Nathanael irgendwie gefährdet, noch ist dieser in der Lage dazu, dies zu tun, insbesondere wenn man seinen zaghaften Charakter im Hinterkopf behält. Insofern lernt man den Antagonisten nur oberflächlich kennen, was durchaus schade ist, weil er etwas sehr Außergewöhnliches an sich hat und undurchsichtig ist. Trotzdem wäre es nicht schlecht gewesen, wenn Hoffmann an dieser Stelle einige Antworten gegeben hätte, denn er ist zwar ein sehr böser Antagonist, aber doch einer, dessen Handlungsweisen nicht ganz nachvollziehbar sind. Insbesondere, wenn einem die Erklärung ,,Er ist nunmal böse'' nicht genügt. 




Trotz einigen Charakterzügen und Handlungen des Bösewichts, die nicht ganz zusammmenpassen, ist diese kleine Geschichte trotzdem sehr beeindruckend, nicht nur wegen dieser verdrehten Welt und des Wahnsinns innerhalb der Handlung, sondern auch wegen dieser Stimmung, die der Autor durch seine Wortwahl und Beschreibungen vermittelt. Wenn man sein Augenmerk hauptsächlich darauf richtet und sich nicht daran stört, dass man bis auf Nathanael niemanden mehr als nur flüchtig kennenlernt, dann kann diese Erzählung ebenso kleine Nervenkitzel geben, wie ein viel längerer Psychothriller heutzutage. Definitiv etwas für Menschen, die es kurz, surreal und unheimlich mögen!






Ich gebe dem Buch:


♥♥ Herzchen (4.17)





Extra:



Überraschenderweise ist diese Geschichte bisher kein einziges Mal für die Leinwand verfilmt worden. Die einzigen kleinen Verfilmungen, die nicht nur auf dem Buch basieren, sondern es umsetzen, sind im Rahmen eines Bachelor- oder Masterabschlusses gedreht worden und einer von ihnen ist auf DVD erhältlich. Der Trailer von einem ist hier zu finden.

Warum gibt es keine normale Verfilmung? Das wäre doch mal eine tolle Idee für die Filmindustrie und super umzusetzen!

CU
Sana

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