Grundwissen:
►Titel◄: In meinem Kopf ein Universum (original: Chce sie zyc)
►Idee◄: Maciej Pieprzyca
►Regisseur/-e◄: Maciej Pieprzyca
►Produzent/-en◄: Wieslaw Lisakowski
►Produktionsfirma◄: Tramway Film Studio; Silesia Film; Telewizja Polska - Agencja Filmowa
►Erschienen◄: 2013; 2015 auf DVD
►Dauer◄: 107 Minuten (1 Stunde 47 Minuten)
►Altersfreigabe◄: FSK 6
►Genre◄: (Familien)Drama; Tragikomödie; Biografie
Inhalt:
,,Ich bin kein Gemüse.'' - Mateus
Für die meisten Menschen ist es kaum vorstellbar, sich nicht bewegen zu können, nichts sagen zu können, ständig auf andere angewiesen zu sein. Für Mateus ist das Alltag, denn mit der zerebralen Bewegungsstörung kann er seinen Körper nicht kontrollieren. Am Anfang versucht seine Mutter ihm zwar noch, Laufen und Sprechen beizubringen, doch als alle Ärzte ihr bestätigen, dass er geistig behindert und völlig unerreichbar für sie ist, schwindet die Hoffnung. Doch nicht für Mateus. Der versteht nämlich alles - nur weiß das keiner. Er passt seinen großen Moment ab - den Moment, in dem er allen zeigen kann, dass er kein Gemüse ist ...
Meine Meinung ...
zum Film:
Kennt irgendjemand einen polnischen Film, der es über die nationalen Grenzen hinaus geschafft hat? Wohl kaum, denn generell kriegt man von dem Nachbarland relativ wenig mit, wenn es um Kunst geht, sowohl im Bereich Buch als auch Film. Denn Vieles davon ist eher unterwältigend - zum Glück zählt In meinem Kopf ein Universum nicht dazu, sondern ist fast durchgängig das genaue Gegenteil.
Das ist vor allem für die Message des Films wirklich wichtig, da dieser einen sehr guten Umgang mit dem Thema Behinderung hat. Insbesondere da die Geschichte in den 1980er Jahren in Polen ansetzt, sind die Verhältnisse damals - das Konservative, die Angst vor dem Unnormalen, die Armut - recht gut gezeigt worden und dadurch auch Mateus' Kindheit sehr verständlich. Selbst heutzutage sieht man selten eine Mutter mit einem behinderten Kind in der Öffentlichkeit, und damals ist dies sogar noch verpönter gewesen. Es erblickt kaum je den Spielplatz vor seiner eigenen Haustür, es gibt keine Möglichkeiten der Unterstützung dafür oder für Entlastung der Familie, und genau deswegen ist diese auch nicht sonderlich stabil. Man erkennt sowohl die Seite, die behinderte Menschen trotz ihrer Beeinträchtigung auf herzerwärmende Weise in den Alltag integrieren, aber auch diejenigen, die gar nicht weiter genau hinsehen und Mateus direkt als Gemüse oder ,,Trottel'' - wie seine eigene Schwester sagt - abstempeln. Glücklicherweise schafft es der Film aber, aus Behinderten nie Witzfiguren zu machen, auch wenn sich ab und an Slapstick-Situationen anbieten sollten. Stattdessen werden sie als Menschen gezeigt, nicht nur anhand von Mateus' Geschichte, sondern auch Nebenfiguren, auf die er trifft. Menschen, die Freundschaften schließen, die gerne musizieren, die sich verlieben und Spaß haben. Sicherlich hätte es nicht schaden können, einigen von ihnen Namen zu geben und einige von ihnen mit Mateus Freundschaft schließen zu lassen, doch auch so ist das schon mehr, als so manch anderes Medium bereit ist zu zeigen. Indirekt werden auch auf Missstände in Einrichtungen für solche Menschen gezeigt, weitreichend über Geldmangel bis hin zu fehlendem Einfühlungsvermögen. Jedoch zeigt sich in In meinem Kopf ein Universum, dass das kein Problem des Pflegepersonals, sondern der Menschen generell ist: jemand ist anders, tut sich schwerer damit, sich auszudrücken, und genau deswegen neigt man dazu, diesen Jemand zu unterschätzen. Denn dies ist für die meisten einfacher, als sich anzustrengen, bis man gemeinsam wenigstens ein klein wenig an Selbstständigkeit erarbeitet, sowohl für einen selbst als auch - wie man sich einredet - für den Behinderten selbst. Daher ist die Grundmessage des Films, nämlich dass es sich immer lohnt, weiterzukämpfen, egal wie aussichtslos die Lage ist, einfach nur wundervoll und auch sehr schön rübergebracht.
Vielleicht hätte es dem Drama aber nicht geschadet, ein wenig ausführlicher in diesen Momenten zu sein. Denn größtenteils schaut sich der Film sehr episodenhaft, es werden meistens nur essentielle Szenen mit schönen Details gezeigt, die aber den Verlauf der Geschichte ab und an etwas sprunghaft erscheinen lassen. Vor allem bei Mateus' erster Kontaktperson außerhalb des eigenen Haushalts hätte man sehr viel machen können, statt ihr nur so kurz Screentime zu geben. So fällt es manchmal auch schwer - von der eingeblendeten Jahreszahl abgesehen - die verstrichene Zeit einzuschätzen, sodass die Story noch ruhiger wirkt als sowieso schon. So plätschert das Geschehen lange Zeit vor sich hin, sodass man lange nicht weiß, wohin Mateus' Biografie führen soll. Natürlich wartet er auf seinen großen Moment, in dem er allen zeigen kann, was in ihm steckt, doch der Film lässt sich sehr viel Zeit damit, diesen einzuführen. Und sobald er eingeführt ist, wird alles gefühlt dreimal schneller abgehandelt als zuvor. Das hätte man mit mehr Feingefühl und weniger umstürzlerisch erzählen können, damit man als Zuschauer auch die Chance hat, etwas über all die Folgen und Veränderungen lernen zu können. Deswegen ist das Ende zwar sehr schön und unterstreicht die Aussage des Films wunderbar mit dieser an wahre Begebenheiten angelehnte Geschichte, doch etwas mehr von der sonstigen Geduld hätte definitiv nicht geschadet.
Doch das ist natürlich Gejammer auf hohem Niveau. Auch wenn Einiges zu langsam oder zu schnell erzählt ist, der Film ist trotzdem sehr wertvoll sowohl in seiner Darstellung von Behinderung als auch in seiner Message. Nicht nur macht er sicherlich Mut für all diejenigen, die selbst eine Beeinträchtigung haben, sondern auch jenen, die in sonst einer Art das Gefühl haben, nicht gehört oder verstanden zu werden. Mit einer sehr dichten und doch ruhigen Atmosphäre verfolgt man Mateus' Leben, das farbenfroher nicht sein könnte: man fühlt mit ihm mit, freut sich mit ihm, leidet mit ihm, erlebt eine große Palette an Emotionen, und das hauptsächlich durch die fabelhafte Leistung des Hauptdarstellers. Ein mehr als nur empfehlenswerter Geheimtipp für all jene, die ein Drama wollen, dass kein Drama daraus macht, dass es eines ist.
Ich gebe dem Buch:
♥♥♥♥ Herzchen
Extra:
Wen andere Filme zu so einer Thematik interessieren, der kann einen Blick auf den Trailer von Me, Too werfen. Darin geht es um einen Franzosen mit Down-Syndrom, der Schwierigkeiten hat, seiner Umwelt zu beweisen, dass er trotz seiner Beeinträchtigung ein Erwachsener mit all den Rechten und Bedürfnissen eines solchen ist. Ich fand ihn ganz in Ordnung :)
In diesem Beitrag verwendete Bilder sind folgenden Quellen entnommen:
http://www.berliner-zeitung.de/image/987762/2x1/940/470/fab073ce5185d98fd8d5b7a55e702257/xm/71-82736377--der-mann-im-ro--08-04-2015-14-53-17-393-.jpg
http://kultur-online.net/files/filmriss/Kopf_Universum1.jpg
http://www.kinofenster.de/img/db/kf1504-in-meinem-kopf-ein-universum-filmbesprechung-familie.jpg_680_480_80.jpg
CU
Sana
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