Dienstag, 5. Mai 2015

♥Der ziemlich komplexe Schönheitskomplex♥

Ich bin hässlich.

Nein, nicht ich. Zumindest nicht aus meiner Sicht. Haltet diese Aussage für arrogant oder für selbstverliebt, aber ich finde mich nicht hässlich.
Allerdings soll dieser Satz diesen Eintrag einleiten, weil jedes Mädchen im Teenager-Alter diese drei Worte mindestens drei Mal am Tag denkt. Wenn es sich morgens für die Schule fertig machen will, in den Spiegel sieht und ihr noch nicht hergerichtetes Gesicht, das zerzauste Haar, die spröden Lippen bemerkt und sofort den Drang verspürt, all diese menschlichen Makel mit Beauty-Produkten zu überpinseln. Wenn es den Fernseher anschaltet und die neueste Staffel von Germany's Next Topmodel ansieht mit all den mageren, jungen Mädchen, die darum konkurieren, als diejenige ausgezeichnet zu werden, die dem Idealbild der Medien am nächsten kommt; zu dem Zeitpunkt sehnt sich das Mädchen ihre Maße, ihre Stylisten, ihre Möglichkeiten herbei. Wenn es abends wieder in den Schminkspiegel schaut und sich die künstliche Maske der Schönheit vom Gesicht wischt und die eigene Haut, die eigenen Wimpern, der eigene Farbton der Lippen zum Vorschein kommt.
Mindestens zu diesen drei Zeitpunkten hat ein Mädchen diese Gedanken, gewöhnlicherweise sogar noch öfter, schließlich leben sie in einer Gesellschaft, in der sich jeder mit jedem vergleicht und das eine des jeweils anderen begehrt. Der Drang, besser und vor allem schöner zu sein als andere, macht dieses Mädchen zu einer Sklavin ihrer selbst, und egal, wie viel Makeup sie benutzt, wie teuer ihre Kleider sind und wie viele Jungen es begehren, es wird niemals vollauf mit sich zufrieden sein; es gibt immer jemanden, der besser ist als man selbst ... der ein besseres Aussehen besitzt als man selbst, egal ob natürlich oder künstlich erschaffen. Und man wird immer auf andere angewiesen sein, schließlich macht dieses Mädchen sich nicht für sich selbst ,,schön'', sondern für ihre Mitmenschen, die ihr sagen sollen, wie toll ihr Hintern in dieser und jener Skinnyjeans aussieht, wie schön ihre Haare glänzen, wie sehr sie doch abgenommen hat.
Welche Probleme so eine Einstellung mit sich bringt, sind jeweils unterschiedlich, aber ihre Existenz ist nicht zu leugnen. Wie viele Male höre ich schlanke Mädchen in der Umkleidekabine darüber nörgeln, dass sie ein Knäckebrot mehr gegessen haben als an sonstigen Tagen oder dass die Röhrenjeans enger sitzt als noch vor ein paar Tagen - natürlich liegt das nicht etwa daran, dass sie in der Wäsche gewesen sind; nein, man hat definitiv zugenommen. Wie viele Male habe ich ein Mädchen immer dünner werden oder mit ihrem wenigen Essen prahlen sehen. Wie viele Male sagen Mädchen zu ihren Freundinnen oder ihrem Partner, dass sie dick seien, nur damit diese es leugnen - was natürlich nichts bringt, das Mädchen wird sich noch immer für zu dick halten, nachdem das kurze, wohlige Gefühl der Selbstbestätigung erloschen ist.
Klar, es gibt Attention Whores, die stark bearbeitete Bilder von sich selbst auf Facebook hochladen und direkt darunter schreiben, wie hässlich sie doch aussähen, nur damit ein Ansturm von Komplimenten in den Kommentaren und zig Klicks auf den Gefällt-mir-Button folgen. Diese überhöhen sich zweifellos und wollen anderen Personen - aber vor allem sich selbst - regelmäßig ins Gedächtnis rufen, wie toll sie sind. So etwas ist krank, ja, aber in mir erweckt dies zumindest kein Mitleid. Im Gegenteil, ich für meinen Teil würde ihnen nur zu gerne Wasserballons ins Gesicht werfen, damit ihr Gesicht zerfließt und sie sehen, wie die Haut darunter aussieht. Und noch lieber würde ich ihnen zeigen, wie dumm dieses Getue ist und sie alles Makeup der Welt benutzen können, ihren Charakter würde dies definitiv nie verschönern. Und hey, allen Personen zum Trost, die solche Mädels genauso verachten wie ich: Spätestens mit den ersten Anzeichen des Zerfalls des Körpers, des Alters, der Cellulite wird ihr Selbstbewusstsein und Lebenssinn so gut wie verschwunden sein. Dann haben sie nichts mehr zu lachen.
Andere Mädchen hingegen können wirklich krank werden. Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie sind ein extremes Beispiel, mit dem auch nicht zu spaßen ist. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man aus dem Labyrinth der verzerrten Selbstwahrnehmung nur mit größter Willensstärke und Entschlossenheit einen Ausweg finden kann, und diese Eigenschaften kann man nur aufbringen, wenn man durch seine eigene Hölle wandert, verbrennt und wie ein Phönix aus der Asche emporsteigen kann. Viele finden diese Stärke nicht, wollen zwanghaft abnehmen, perfekt sein, ein Bild verkörpern, dass nur mit Photoshop und Grafikdesign überhaupt zu erreichen möglich ist. Natürlich liegt es in der Natur des Menschen, sich weiterzuentwickeln und sich so zu verändern, dass man mit sich selbst zufrieden ist, aber viele sehen hierbei nicht, dass innere Zufriedenheit von so viel mehr abhängen kann als vom Aussehen. Man muss sich nicht daran ergötzen, schöner zu sein als jemand anderes. Man kann selbstbewusst sein ohne einen Schutzwall aus Concealer und Lidschatten jeden Tag aufs Neue aufzutragen. Man kann sich selbst finden - und man selbst ist definitiv in keinem Fall eine Person, die sich zwanghaft ändern will und scheinbar Stärkeren nachjagt. Man selbst ist man, wenn man mit sich selbst im Reinen ist und sich von allen Zwängen, die man sich aufbürdet, löst. Wenn man sich selbst im Spiegel sieht und nicht denkt Ich bin fett, Ich bin nicht schön, Ich bin nichts besonderes, sondern wenn der Gedanke aufkommt Hey, das bin ja ich. Ohne Frust, ohne Wut, ohne Verzweiflung, sondern mit Objektivität und innerer Ruhe.
Doch warum erzähle ich dies alles und spiele den Moralapostel? Habe ich nicht selbst meine Momente, in denen ich mich zu dick empfinde, auch mal zum Puderdöschen greife?
Würde ich Nein sagen, würde man mich für eine arrogante Tuse halten. Denn heutzutage mit einem ehrlichen Lächeln von sich selbst zu behaupten, man sei hübsch, hätte eine gute Figur und sei auch nicht gescheut, diese Figur nach außen zu tragen, so wird man sofort als leichtes Mädchen gesehen. Besonders, wenn man einen großen Busen besitzt.
Würde ich jedoch Ja sagen, würde mich dies zur Heuchlerin machen, nicht wahr?
Ich finde nicht. Jeder Mensch hat etwas, womit er nicht zufrieden ist oder zumindest nicht in dem Ausmaß, wie er mit anderen Teilen seiner selbst Frieden machen kann. Ich habe nicht so viele Muskeln und nicht so viel Kraft, wie ich gerne hätte. Meine Haut könnte reiner sein. Meine Ernährung könnte ausgewogener sein. Aber hänge ich mich daran auf, konsumiere Unmengen von Essen oder starte eine viel zu strenge Diät, die mich in den oben beschriebenen Teufelskreis führt?
Nein. Weil das alles einem weniger wichtig ist, sollte man bereits noch lebendig und reingewaschen aus diesem Teufelskreis hinausgelangt sein. Und dies ist keinesfalls leicht. Wie viele Male ist man versucht, sich wieder in alte Gewohnheiten fallen zu lassen aus simpler Bequemlichkeit und Faulheit. Wie viele Male will man seinen Körper vernachlässigen, weil die Nahrungsmittel mit den meisten Geschmacksverstärkern und der hohen Künstlichkeit am leckersten schmecken?
Um dies zu erreichen, braucht man eisernen Willen und eine Menge Disziplin, ja. Aber vor allem braucht man ein Umfeld, das einen in seinen Plänen unterstützt und vor allem gesund ist.
Ich habe niemals den Hype über Beauty-YouTuber nachvollziehen können. Menschen wie DagiBee, BibisBeautyPalace, Sami Slimani, barbie loves lipsticks und andere - was ist an ihnen so besonders? Dass sie eine äußerst künstliche gute Laune besitzen und oft vollkommen belanglose Videos veröffentlichen? Dass sie sich anscheinend selbstbewusst vor die Kamera setzen und uns wichtige Dinge offenbaren, wie beispielsweise die komplizierte Kunst des Frisierens oder die noch schwerere Kunst von der Kombination richtiger Kosmetikprodukte, von denen sie auch lieblicherweise im Detail zeigen, wie wir sie anzuwenden haben, und natürlich - das absolut Wichtigste - wie wir Schminkpannen vermeiden können? Dass sie uns allesamt unser Leben diktieren und dabei die eigenen Prinzipien, die sie uns ans Herz legen, nicht befolgen?
Warum benötigt unsere Gesellschaft Anführer in Sachen Aussehen? Haben wir inzwischen so wenige Probleme in unserem Land, dass wir uns nur um unser Aussehen zu kümmern brauchen, damit wir ja nicht aus dem Rahmen fallen? Wo bleibt da Individualität und das Entdecken und Entwickeln eines eigenen Geschmacks, und zwar nicht, um sich von dem Mainstream abzuheben, so wie es einige nach Aufmerksamkeit gierende Mädchen tun, sondern weil man so aussehen möchte und dies auch zu einem passt und man wirklich darin aufgeht? Denn dies, was ich tagtäglich betrachten kann, sind kleine Menschen in unserer schulischen Hierarchie, die sich in Klamotten zwängen, von denen man ihnen anmerkt, dass sie ihnen entweder die Luft abschnüren oder sonstwie ein unangenehmes Gefühl bescheren, und jede Pause mit gesenktem Blick an ihren Tischen sitzen, still darauf hoffend, dass eine in der Hierarchie über ihnen stehende Person zu ihnen kommt und ihr neues Outfit lobt?
Um ein Extrembeispiel zu nennen: Ein Mädchen aus meinem Kurs, das normalerweise eine Brille trägt, pudert sich in jeder einzelnen Pause die Nase neu, während sie ihr kleines Puderdöschen unter dem Tisch verborgen hält und mit besorgten Augen auf den verwischten neuen Hautton schaut.
Lustigerweise werden solche Personen sogar noch eher in die Gemeinschaft zu integrieren versucht als Menschen mit eigenem Kopf und eigenem Stil. Oder ist das sogar eher traurig?
Wegen solchen Debakeln habe ich mir schon von Kleinauf gewünscht, ein Junge zu sein. Freundschaften mit dem anderen Geschlecht sind viel unkomplizierter, aber fairerweise muss man auch sagen, dass man von Mädchen eben erwartet, gut auszusehen, während Jungen sich vernachlässigen können. Natürlich gibt es auch Jungen mit Essstörungen und Komplexen, und mittlerweile gibt es auch ziemlich viele junge Mädchen und Frauen, die bei einem Jungen einzig und allein aufs Äußere Wert legen, aber dennoch ist das ,,schwächere'' Geschlecht stärker davon betroffen. Die Gesellschaft setzt uns vor, wie wir auszusehen haben, was ,,normal'' ist, wie unsere tägliche Routine auszusehen hat, welche Erwartungen wir erfüllen müssen. Betrachtet man dies aus wirtschaftlicher Perspektive, so ist dies natürlich clever; der Konsum von Kosmetikprodukten, Modemagazinen u.a. müssen in den letzten Jahren - vor allem seit dem Beauty-YouTuber-Boom - angestiegen sein. Von daher könnte man diese Gehirnwäsche des perfekten Körpers sogar als etwas Gutes ansehen, und dies tut man in der Welt des Kapitalismus auch. Und natürlich ist es eine passable Option, die Population davon abzuhalten, über wahre Misstände nachzudenken, vor allem innenpolitisch, aber auch weltweit. Aber solange man nur mit sich selbst beschäftigt ist und nicht über den Tellerrand hinausschaut, ist dies nur minimal umsetzbar.
Doch was könnte man gegen einen solch gewaltigen und verbreiteten Komplex tun? Es liegt eben in der Natur des Menschen, stetig nach mehr zu streben und sich aus diesem Grund durchs Leben zu hetzen und die kleinen Dinge zu übersehen. Dabei sind es genau diese, die glücklich machen. Die Amsel, die neben dir auf dem Bordstein umherhüpft und ihr Gefieder aufplustert. Die Mutter mit den Entenküken in der Nähe des Flusses, die fröhlich quaken. Ein altes Pärchen, das händchenhaltend in der Stadt herumgeht, obwohl Beziehungen heute so flüchtig und schnelllebig sind. Ruhe zu empfinden und einfach mal tief durchzuatmen. Für all das, so meinen wir, haben wir keine Zeit, aber uns wegen Problemen verrückt zu machen, die wir uns selbst erschaffen, schon.
Aus diesem Grund finde ich, dass, wenn man sich schon ein Problem schafft, vor allem wenn es sich um das eigene Aussehen dreht, sollte man aufhören, rumzujammern und etwas tun, und zwar auf eine gesunde Art und Weise, denn der einfache Weg ist niemals der richtige. Aber davor sollte man sich noch bewusst werden, warum man sich verändern will:
Wann ist das Problem aufgetaucht? War es schon immer vorhanden? Hat eine gewisse Person es ausgelöst? Der Partner, der einen für eine schlankere Frau verlassen hat? Die Freundin, die spindeldürr ist und die so viel essen kann, wie sie will, ohne zuzunehmen? Die Großmutter, die behauptet, man esse zu wenig?
Will ich mich für mich oder für andere verändern?
Denn eines ist klar: Solange man sich für andere ändern möchte, solange man an sich herumschnipselt und -pinselt, um in einen Teil der Gesellschaft aufgenommen zu werden, der einem verwehrt ist, um dem Mobbing zu entgehen, dann sage ich euch, dass ihr nichts werdet erreichen können. Wer die Erwartungen anderer zu seinen eigenen macht, der kann nur verlieren. Bis derjenige nicht versteht, dass nur seine Zufriedenheit und seine Meinung zählt, dann nützt jede Ernährungsumstellung, jede Art von Sport und jede Art von Kosmetik rein gar nichts.
Passt du dich an andere an, bist du in dir selbst unfrei und in der Gesellschaft ebenso.
Passt du dich an dich an, bist du in dir frei und in der Gesellschaft vogelfrei.
Welche Möglichkeit wählst du?


CU
Sana

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