Samstag, 5. März 2016

:)Rezension:): Die heilige Johanna der Schlachthöfe

Grundwissen:


Titel: Die heilige Johanna der Schlachthöfe
Autor/-in: Bertolt Brecht
Erschienen: 1995 im Suhrkamp-Verlag; uraufgeführt 1952
Seitenanzahl: 149 Seiten
Preis: 7, 00 € (Taschenbuch) [Quelle: Amazon.de]
Genre: Drama [Theaterstück]; Klassiker; Parodie





Inhalt:


Lad dir die Armen zu Gast und bewirte
Sie nur mit Regenwasser und schönem Gerede
Wo doch im Himmel für sie nicht Erbarmen
Sondern nur Schnee ist!
- Snyder (S. 75)



Aufgrund einer Überproduktionskrise in den Fleischfabriken Chicagos werden viele der Arbeiter entlassen und müssen Hunger und Armut leiden. Ein Fall für die Schwarzen Strohhüte, eine Heilsarmee, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die kleinen Leute mit Suppe, Obdach und Gottes Wort zu versorgen. Johanna Dark, ein sehr engagiertes Mitglied dieser Gruppe, möchte den Gründen für dieses Elend auf den Grund gehen und trifft dabei auf den Fleischkönig Pierpont Mauler. Teils vergeblich, teils erfolgreich versucht er, sie für seine Zwecke einzuspannen, ebenso wie Johanna feststellen muss, dass Elend, Wirtschaft und Armut weitaus mehr Ebenen haben, als sie zunächst dachte ...







                                                          Meine Meinung ...





                                                                           zum Cover:




Englisches Cover Nr. 2: ♥♥♥
Deutsches Cover: ♥♥
Englisches Cover Nr. 1: ♥♥♥♥


Momentan ist leider keine andere Ausgabe in Deutschland erhältlich als die Edition des Suhrkamp-Verlags, weswegen man sein Bücherregal nicht unbedingt mit diesem Drama von Brecht zieren kann. Die englischen Cover hingegen sind wirklich passend und bringen das Groteske und Zynische des absolut herrlichen Titels sehr gut rüber. Während das erste englische Cover noch eher melancholisch ist und eine der wichtigsten Szenen und Umwandlungen des Stückes zeigt, bringt die zweite Aufmachung den parodierenden Aspekt der Schwarzen Strohhüte rüber ... auch wenn deren Darstellung optisch alles andere als ansprechend ist.
Und dieser Titel ... ich glaube, ich habe noch nie einen so bizarren und witzigen Titel auf einem Buch stehen sehen. Insbesondere wenn man zuvor Die Jungfrau von Orleans von Schiller gelesen hat und weiß, dass Brecht diese Figur verzehrt hat, ist er einfach perfekt gewählt und kann einen immer zum Schmunzeln bringen.





zum Buch:




Wer von Brecht nur ein einziges Stück gelesen hat, scheint auch die Grundstimmung und die Themengebiete von allen zu kennen. Wie auch in meinem ersten Drama von Brecht - Der gute Mensch von Sezuan - spricht er den Kapitalismus an, die Gottlosigkeit in der Welt aufgrund des ständigen Kampfes zwischen Arm und Reich, die Schwierigkeit, in dieser Welt tugendhaft zu handeln. Doch zeugt es von fehlendem Einfallsreichtum und Langeweile, wenn man schon innerhalb der ersten Szenen weiß, was auf einen zukommt?
Nicht unbedingt, vor allem wenn diese Themen so gut ausgearbeitet sind wie bei Brecht. Man findet sich hier in einem sehr wirtschaftlichen Setting wieder. Der Markt ist übersättigt an Fleischbüchsen, die Kapitalisten verzweifeln und stürzen ihre Arbeiter durch Tausende von Entlassungen ebenso in die Verzweiflung aus Hunger und Armut. Gar nicht so unrealistisch angesichts der Tatsache, dass dieses Werk etwa zur Zeit der ersten großen Weltwirtschaftskrise 1929 entstanden ist. Daher ist die Stimmung in diesem epischen Drama sehr düster und von Hoffnungslosigkeit geprägt. Dem muss sich auch die Protagonistin, nach der dieses Drama benannt ist, stellen, da sie die naive und tugendhafte Ansicht vertritt, dass der Mensch immer einen Trost in Gott finden wird, egal in welcher Lebenslage er sich befindet. Daher begleitet man eine weltfremde Strenggläubige bei der Reise durch die Welt des Kapitalismus und des Elends, nicht nur auf einer körperlichen, sondern auch auf einer seelischen, moralischen Ebene. Obwohl man sich selbst vermutlich als weniger gutgläubig im Vergleich zu Johanna Dark titulieren würde, merkt man selbst, dass ein kleiner Schock in einem erwächst, wenn man mitkriegt, wie Beziehungspartner ausgeliefert werden, nur damit der andere eine Mahlzeit bekommt, wie Konkurrenten innerhalb der Industrie ausradiert werden, wie Tode von Arbeitern vertuscht und deren Familie diese Tatsache für eine Woche voller von den Fabriken gespendetes Essen nie davon Wind bekommt. Dabei fällt man ähnlich wie die Protagonistin aus allen Wolken, insbesondere da man heutzutage diese Schattenseiten des Kapitalismus in wohlhabenden Ländern nicht mitbekommt und meistens erfolgreich verdrängt, dass Menschen, teils auch Kinder in Indien unter menschenunwürdigen Bedingungen dafür verantwortlich sind, dass man hierzulande seine Shirts in diversen Läden kaufen kann. Ebenso erschreckend ist es, dass der ,,Fleischkönig'' Pierpont Mauler versucht, dieses unmoralische Verhalten auf den simplen schlechten Charakter der Arbeiter zu schieben und selbst so verblüffend gut zu manipulieren, dass man sich als Leser selbst nicht zu hundert Prozent sicher ist, ob man seine wahre Person erfasst hat. Daher ist die Kulisse sehr ausdrucksstark und stellt zahlreiche Problematiken ins Rampenlicht, die auch heute noch von großer Bedeutung sind.
Doch nicht nur ist dieses Setting sehr authentisch, sondern auch die zwei Hauptfiguren Mauler und Johanna Dark. Gegenseitig versuchen sie sich zu beweisen, dass der Mensch selbst gut oder schlecht ist, dass Kapitalismus Übel oder Glück bringt, und bilden dabei ein sehr dynamisches Duo, in dem jedoch nur einer als Sieger hervorgeht. Mauler zeigt sich hierbei als kalkulierender, sehr guter Schauspieler, der Johannas missionarischen Eifer für seine eigenen Zwecke einspannt, und der Armen Reue und ein mühevoll verstecktes gutes Herz vortäuscht, worauf sie ohne Hinterfragung hereinfällt. Man weiß selbst nicht, ob man diesen Mann für sein Genie bewundern oder verachten soll, denn realistisch gezeichnet ist dieser blutigste aller Fleischproduzenten schon und auch seine Fähigkeit zur Instrumentalisierung aller ist auf jeden Fall faszinierend, vor allem weil man selbst schwankt, ob er denn nicht irgendwann doch mal so etwas wie Mitgefühl zeigt.
Neben ihm sieht Johanna natürlich aus wie ein Witz. Natürlich ist dies auch der Zweck der Parodie auf die als stark geltende Jeanne d'Arc, an der diese Figur angelehnt ist, jedoch hätte man echt nie erwartet, dass das so gut gemacht ist. Zwar sind nur wenige Szenen aus der Jungfrau von Orleans von Friedrich Schiller hier wiederzufinden, jedoch wird hier lächerlich gemacht, dass eine junge Frau mit so idealistischen Einstellungen und ihrer Bereitschaft, ihr Leben nach Gott auszurichten, so schnell einen König und seinen Hof davon überzeugen kann, dass sie für einen glorreichen Sieg Frankreichs sorgen wird. Natürlich gibt es enorme Unterschiede, wie beispielsweise die Situation selbst und auch Jeanne's von Anfang an vorhandene Gewaltbereitschaft, aber ihre weltfremde Einstellung vor dem Hintergrund einer moderneren Welt und ihre Mitgliedschaft in einer an den Puritans angelehnten Heilsarmee wird vor allem durch das Ausnutzen ihrerseits selbst von den Armen sehr schön dargestellt. Wirklich sympathisch ist sie einem nicht, da sie doch nahezu fanatisch an ihre Sache rangeht und sich in Angelegenheiten einmischt, von denen sie nicht die geringste Ahnung hat, jedoch muss man doch ihre Entwicklung loben, da sie am Ende vollkommen desillusioniert ist und sich dabei trotzdem nicht von ihrer Instrumentalisierung lösen kann.
Nachteile dieses Dramas sind jedoch die restlichen Charaktere, da diese eine sehr, sehr kleine Rolle einnehmen und höchstens zur Belustigung des Lesers beitragen. Dabei wäre es doch sehr schön gewesen, wenn deren Geschichte etwas detaillierter ausgearbeitet und auch mit einer Entwicklung des Konflikts durch das Drama getragen wäre, da der Fokus auf Johanna und Mauler doch etwas einseitig gewesen ist. Man bekommt zwar die Unzufriedenheit der Arbeitslosen und auch der später auftauchenden Kommunisten häufig mit, man äußert auch Kritik an der Heilsarmee Johannas, die sich letztlich auch nur aufgrund des Geldes für die Armen engagieren, aber dennoch wirkt dies doch wie ein Einheitsbrei und sorgt so dafür, dass man sich mit kaum jemandem auf Dauer identifizieren kann. Mit Mauler im Normalfall schon gar nicht, und mit Johanna höchstens nur, wenn es um das Aufführen all der amoralischen Handlungen geht.
Auch besitzt die Geschichte nicht den typischen Aufbau für ein dramatisches Werk, sodass es an sich keine spürbare Klimax gibt, insbesondere, wenn man auf dem Gebiet der Wirtschaft nicht so bewandert ist und dies alles für einen abläuft wie ein einziger Hokuspokus. Da man so einige Passagen nicht ganz versteht, verliert man auch das Interesse an der Geschichte und liest immer unaufmerksamer, da man sich etwas überfordert fühlt. Natürlich ist dies auch außerhalb von Literatur so, aber zur Leselust trägt es nicht gerade bei. Verstärkt wird dies durch das Gefühl, ebenso aufgeschmissen zu sein wie Johanna, insbesondere als Mauler sich zu ändern scheint, allerdings doch etwas faul an der ganzen Sache ist. Daher ist der Handlungsverlauf ab einem gewissen Punkt undurchsichtig und erfordert mehr Mühe als man zunächst angenommen hat, weil die Geschichte trotz eines so ernsten und gut umgesetzten Themas vor allem wegen Johannas Person und der Art, wie Menschen sie behandeln, viele humoristische Elemente beinhaltet. Daher wirkt es ab der Mitte bis kurz vor Ende eher langweilig als einnehmend und das Gefühl, dem Geschehen nicht hinterherzukommen, erweckt auch einen unangenehmen Frust im Leser.




Ein episches Theaterstück, das man wohl mit typisch Brecht! gut zusammenfassen kann. Die satirischen und humoristischen Elemente innerhalb des Dramas sind sehr unterhaltsam und machen so dem Wechsel zwischen der Bemerkung, dass dies eine Verzerrung Jeanne d'Arcs ist, und der harten Realität einer geldgierigen Welt mit unfairem Markt emotional ausgeliefert ist. Brecht thematisiert zwar große Misstände unserer Welt, setzt diese sehr gut in Szene und hat auch eine interessante Message am Ende zu bieten, aber dennoch hätte er durch die Ausbreitung des Fokus auf seine Charaktere und durch etwas mehr Input, was wirtschaftliche Angelegenheiten angeht, seine Leser nicht in solchem Maße überfordert, um seine Spannung beizubehalten und die dunkle Atmosphäre beizubehalten. Zusätzlich mit Mauler als Antagonisten, der den Leser durch seine geschickte Manipulation verunsichert und bis zum Ende nicht ganz klar ist, ob er sich vielleicht nicht doch weiterentwickelt hat, weiß man so insgesamt doch nicht, was man von dem Drama halten soll. Eventuell kann man dem mehr abgewinnen, wenn man nicht unter Stress steht und sich dem Geschehen mit voller Konzentration widmen kann, so allerdings war es nur ganz passabel, an manchen Stellen sehr gut, an anderen eher langweilig.





Ich gebe dem Buch:


Herzchen (3.42)




Extra:


Hier ein kleiner Trailer einer Form des Theaterstücks, das Johannas Charakter ganz gut zeigt :3


CU
Sana

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