Samstag, 10. Juni 2017

:)Rezension:): Cell 7 #1

Grundwissen:



Titel: Marthas Widerstand (original: Cell 7)
Autor/-in: Kerry Drewery
Erschienen: März 2017 im One-Verlag/Bastei Lübbe (Hardcover)
Seitenanzahl: 447 Seiten
Preis: 16, 00 € (Hardcover); 11, 99 € (Kindle Edition) [Quelle: amazon.de]
Genre: Young Adult; Dystopie




Inhalt:



''This isn't justice. It's their interpretation of it.'' - Cicero, ehemaliger Richter (p. 95)



Martha Honeydew, ein Mädchen aus den Slums eines zukünftigen Großbritanniens, ist des Mordes angeklagt. Nicht nur an irgendwem, sondern an Jackson Paige, einem der größten und beliebtesten Wohltäter der Gesellschaft. In den Gefängniszellen 1 bis 7 soll sie nun ihre potentiell letzten Tage verbringen, denn über ihr Urteil entscheiden keine Richter mehr, sondern die Gesellschaft. Durch einen Anruf oder eine SMS kann sie darüber bestimmen, ob Martha für das Nehmen eines Lebens ihr eigenes wird hergeben müssen. Sieben Tage hat sie Zeit, die Gesellschaft von ihrer Unschuld zu überzeugen, während die Boulevardpresse gegen die ,,kaltblütige Mörderin'' hetzt. Doch dies gestaltet sich schwer, wenn man den Mord an diesem Mann bereits zugegeben hat. Will Martha dann überhaupt verschont bleiben oder hat sie etwas Anderes im Sinn?





Meine Meinung ...




zum Cover:




Deutsches Cover: ♥♥♥♥
Originalcover: ♥♥♥♥

















Obwohl beide Aufmachungen recht schlicht sind, haben sie doch beide irgendwas, was Interesse in einem weckt. Das deutsche Cover sieht natürlich aufgrund des Gesichts ein wenig durchschnittlich aus, allerdings ist dieser Blick Marthas so intensiv, dass es trotzdem aus dem Rahmen fällt. So wird natürlich auch der Titel sehr gut unterstrichen, der das Buch sehr gut zusammenfasst.
Das Originalcover besticht weniger durch den Titel als durch die Darstellung. Das Auge nämlich ist das Logo der Produktionsfirma An Eye for An Eye, das die Show Death is Justice leitet. Die will auch letztlich dafür sorgen, dass Martha hinter Gittern bleibt, wie auch sehr schön auf dem Cover angedeutet wird. Selbst der kleine Sperling hat sogar eine gewisse Bedeutung. Daher sehr gelungen!




zum Buch:




Die Menschheit erliegt seit Anbeginn der Zeit dem Voyeurismus. Egal ob wir an einem geschrotteten Wagen auf der Autobahn vorbeifahren, ob wir in den Zoo gehen und die Tiere in ihren häufig zu kleinen Gehegen betrachten, oder ob wir an die Spiele im Kolosseum des Alten Roms denken - Menschen schauen gerne zu und wollen immer mit dabei sein. Vielen reicht nicht mal das, sie wollen ins Geschehen eingreifen und mitbestimmen, insbesondere, wenn die Situation nicht zufriedenstellend ist. Dies fällt häufig in Sachen Gerichte und Verurteilungen auf, da ein Großteil der Menschen das Justizsystem an den falschen Stellen für entweder zu streng oder zu lau hält. Für das illegale Herunterladen von Songs kann man teilweise länger im Gefängnis sitzen als für eine Vergewaltigung. Da hört sich doch ein System, in dem man über jedes Gewaltverbrechen mitbestimmen kann, an wie die Vervollkommnung der Demokratie - oder?
Marthas Widerstand greift diese Thematik auf und versucht zu zeigen, dass dem nicht so ist. Dieser geniale Grundgedanke ist es auch, der diese Dystopie erscheinen lässt wie etwas Neues und sehr Besonderes. Denn in vielen anderen Zukunftsvisionen haben die Menschen weniger zu sagen, leben in unterschwelligen oder offenkundigen Diktaturen, während in dieser hier an einem anderen wichtigen Rad der Gesellschaft gedreht wurde. Vor allem Kerry Drewery's Darstellung dessen, wie die Medien diese Erneuerung für ihre Schlagzeilen nutzen, ist ein sehr guter Einfall mit hohem aktuellen Bezug, denn wohl selten sind Boulevard-Zeitungen wie Breitbart und Fake-News so in den Fokus gerückt worden wie heutzutage. Es wird sich auf Martha gestürzt, die sich selbst durch ihre Haft im Gefängnis nicht verteidigen, sondern nur beobachten kann, wie der prozentuale Anteil derer, die sie schuldig sprechen, sich verändern. Aussagen werden verdreht, Berichte nicht subjektiv erstattet, Feind- und Heldenbilder gemalt, ähnlich wie heute, nur deutlich extremer. Das beobachtet man zu Beginn noch sehr fasziniert, vor allem weil man sich selbst mit den Zuschauern bzw. Wählern identifiziert. Man sieht die Vorteile dieses Systems, da man nach seinen eigenen Maßstäben ein Leben retten oder beenden kann,  und wird bei der Abwägung seiner Entscheidung auch noch unterhalten. Es ist die Vision einer Konsumgesellschaft, die oberflächlich gesehen die Macht hat, allerdings von den Medien in dieser Hinsicht nur ausgebeutet wird. Verbunden mit der Gesellschaftskritik dahinter, die die Autorin von Anfang an in den Mund der Protagonistin liegt, liest es sich zu Beginn sehr schnell weg und fesselt den Leser an die Seiten.
Schleichend merkt man allerdings, dass die Autorin es sich trotz des komplexen Themas sehr leicht gemacht hat. 
Zum einen bezieht sich das auf die Frage nach Marthas Unschuld, weil man sehr schnell durchblickt, was eigentlich geschehen ist. Es ist anfangs noch interessant, da man sich fragt, was ein junges Mädchen praktisch dazu bewegt, den Freitod zu wählen. Doch sobald eine bestimmte Figur, mit der sie in Verbindung steht, erwähnt wird, kann man sich die Story im Nu zusammenspinnen, auch ohne die ab und an auftauchenden Flashbacks. Vorhersehbarkeit muss natürlich nichts Schlechtes sein, aber angesichts der Tiefe der Thematik und der Schwere dieses ,,Plans'' hätte die Autorin viel mehr Denkarbeit hineinstecken müssen. So wirkt das Ganze nämlich eher wie eine 0815-Geschichte, hinter die nervigerweise auch nicht Marthas Beraterin kommt. Diese steht Martha nämlich in den sieben vielleicht letzten Tagen ihres Lebens zu, und obwohl sie Martha helfen möchte, lässt ihre Kombinationsgabe zu wünschen übrig. Somit wird viel Luft um nichts gemacht; man wartet praktisch auf jeder Seite darauf, dass bei dieser Person mal der Groschen fällt, leider nahezu bis zum Ende vergeblich. Das schmälert nicht nur das Interesse des Lesers an Marthas Hintergrundgeschichte, sondern auch die Glaubwürdigkeit dieser angeblich erfahrenen Beraterin.
Zum anderen beschränkt die Autorin ihre Zukunftsvision sehr auf die Medien und ihre Rolle in den Prozessen der angeblichen Verbrecher. Deswegen steckt der Rest dieser Welt noch in den Kinderschuhen und hätte genauso gut in einem Paralleluniversum spielen können. Doch nicht nur die fehlende Authentizität ist enttäuschend. Die Autorin hat nämlich sehr viel Mühe in eine möglichst skandalöse Darstellung der Medien investiert, sie so ,,böse'' wie möglich dargestellt. Problem daran ist: Sie hat es gewaltig übertrieben. Man muss Drewery zugutehalten, dass die skriptartige Perspektive der Reality-/Talk-Show Death is Justice, die sich mit den Mordfällen beschäftigt, mal etwas Neues ist, allerdings wirkt das Ganze irgendwann nur noch unglaubwürdig. Ja, Menschen sehen gerne nur das Offensichtliche und haben leichte Antworten lieber als komplexe, aber man kann niemandem erzählen, dass von den 13 Millionen Zuschauern niemand erkennt, wie unprofessionell diese Show vorgeht. Zu Beginn hält es sich noch in Grenzen, auch die Zensur derjenigen, die der Propaganda gegen Martha im Wege stehen, geht geschickt vonstatten, aber nach und nach wird es immer ungeschickter. Soll wirklich niemand durchschauen, dass die ,,technischen Probleme'' einer Verbindung zu einem Anrufer, der eine andere Meinung hat, in Wirklichkeit keine sind? Soll niemand auf die Idee kommen, dass Gäste, die noch in der Show auf einmal verschwinden, einfach rausgeworfen werden?  Wie wahrscheinlich ist es generell, dass es keine seriöse Berichterstattung mehr gibt, sondern nur noch Boulevardpresse? Death is Justice wirkt also eher wie eine überzogene Parodie, doch Parodien wirken nur dann, wenn sie pointiert in ihrer Überzogenheit sind. Das, was Kerry Drewery geschafften hat, ist aber weder pointiert noch subtil, sondern schlicht und ergreifend anklagend, ohne irgendwelche Graustufen. Dafür, dass sie dieses Thema so groß aufzieht, ist diese Darstellung einfach zu flach, sodass die Erzählstimme der Autorin selbst so wirkt wie die Medien in Marthas Widerstand: übertrieben, mit vielen Ausrufezeichen und durchweg plakativ.
Von diesen Schwächen mal abgesehen liest sich Cell 7 jedoch nicht schlecht. Viele Leserstimmen kritisieren den Schreibstil, was durchaus nachvollziehbar ist. Er ist sehr vulgär, knapp und wirklich einfach gehalten, selbst wenn man aus der Perspektive eines Erwachsenen liest. Demzufolge ist die Sicht der Betreuerin - wie auch die ganze Figur selbst - recht unglaubwürdig; bei Martha hingegen trifft er den Nagel auf den Kopf. Es ist sehr leicht wegzulesen und lässt sie ihre Situation durch die Härte der Worte ernster nehmen. Sicherlich hätte mehr Emotion nicht geschadet, allerdings schreibt die Autorin alles in allem nicht schlecht und geleitet einen flott durch die Geschichte.
Generell ist ihr die Figur von Martha recht gut gelungen. Während die Nebencharaktere flach gehalten sind, kann man Marthas Gefühlswelt innerhalb der Zelle und auch ihre Gedanken zu dem System gut nachvollziehen. Sie ist natürlich weitestgehend passiv, da sie ihr Urteil abwarten muss, nutzt allerdings die Zeit, über ihr Leben nachzudenken und so dem Leser einen Blick auf ihren Hintergrund zu werfen. Natürlich stammt sie aus ärmeren Verhältnissen, hat eine schwere Kindheit, ein Elternteil fehlt - also der gesamte Baukasten für eine Protagonistin aus einer Dystopie. Doch obwohl sie diesem Klischee entspricht, wirkt sie fast durchgehend echt. Vor allem ihre Gedanken dazu, wie man etwas in einer Gesellschaft ausrichten kann, auch wenn man nur ein kleiner Mann ist, dürften für viele Leser inspirierend sein. Sie wirkt damit nicht so groß oder symbolisch für eine Gegenbewegung, im Gegenteil, sie ist eine Einzelne, die zeigen will, was sie über die derzeitigen Umstände denkt. Damit wirkt sie in einem kleineren, aber für den Leser greifbaren Rahmen, zeigt, dass man keine Truppe von Rebellen hinter sich haben muss, um etwas auszurichten. Deswegen ist Martha eine recht passable Protagonistin - was sie auch sein muss, denn die anderen Figuren könnten die Geschichte auf gar keinen Fall alleine tragen.
Sowohl dem Ende als auch dem Finale kann man zwiespältig gegenüberstehen. Denn einerseits wird Marthas Hintergrundgeschichte nun vollkommen vor dem Leser ausgebreitet - etwa dreihundert Seiten zu spät -, während andererseits ihr Prozess sich dem Ende zuneigt. Es ist schon recht spannend dabei zuzusehen, wie ihr Urteil von Millionen von Menschen erwartet und eine eventuelle Exekution fast so wirkt wie ein Fußballspiel beim Public Viewing. Die Autorin versucht immerhin, etwas an Emotionen herauszuholen, und nimmt gegen Ende auch eine etwas andere Wendung in Kauf. Dass das Buch mit einem solchen Cliffhanger endet, kann so für den bald erscheinenden zweiten Teil also nur von Vorteil sein. Dort wird die Autorin dann auch hoffentlich aus den Geschehnissen gegen Ende von Marthas Widerstand viel rausholen und einen zweiten Teil erzählen, der weniger auf Klischees aufbaut.



Eine grenzgeniale Grundidee, die anfangs auch wirklich auf den Putz haut und den Leser packen kann. Nach und nach wird das Buch allerdings immer plumper und betreibt genau dort Schwarzmalerei, wo es sie am System kritisieren will. Daher fehlt der Autorin das literarische Fingerspitzengefühl, diese Gesellschaft und vor allem die Medien darin glaubwürdig zu skizzieren statt zu überzeichnen.  Viele der Figuren sind recht flach, nur die Protagonistin und ihre Geschichte verfolgt man noch gerne, auch wenn man gewisse Grundzüge von schon anderen Dystopien kennt. Hätte die Autorin also etwas mehr Zeit investiert, sich etwas Außergewöhnlicheres einfallen zu lassen und ihre Vision auszubalancieren, hätte das eine wirklich tolle Dystopie werden können. So allerdings ist sie sogar noch leicht unterdurchschnittlich, vermag einen im Laufe des Plots immer weniger zu packen und geleitet einen fast nur deswegen schnell durchs Buch, weil der Schreibstil recht einfach ist. Trotzdem bleibt die Hoffnung, dass das Sequel dazu mehr in die Tiefe gehen wird, da sie hier ja ab und an zeigt, dass sie diese durchaus wahrnimmt. Insgesamt also empfehlenswert für diejenigen, die nicht viel in dem Genre gelesen haben und die etwas Medienkritisches lesen wollen.





Ich gebe dem Buch:


♥.♥ Herzchen


Extra:


Der zweite Teil dieser Dilogie (denke ich zumindest) wird den Titel Day 7 tragen und am 15. Juni 2017 erscheinen. Ob er ins Deutsche übersetzt wird, ist noch unklar.



*klick* Hier kommt ihr zum Klappentext des Buches :)


CU
Sana

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