Montag, 5. Juni 2017

:)Rezension:): Das Phantom

Grundwissen:



Titel: Das Phantom - Die bisher ungeschriebene Lebensgeschichte des ,,Phantoms der Oper'' (original: Phantom)
Autor/-in: Susan Kay
Erschienen: Januar 2005 im Fischer-Taschenbuch-Verlag (Taschenbuch); original 1990 im Fischer-Scherz-Verlag (Taschenbuch)
Seitenanzahl: 412 Seiten ohne Anmerkung der Autorin
Preis: 9, 99 € (Taschenbuch); 9, 99 € (Kindle Edition) [Quelle: amazon.de]
Genre: Biographischer Roman; Drama; Mystery; (Romance)




Inhalt:



,,[...] Ich hoffe, du wirst im Errichten von Mauern nie so tüchtig werden dass du nicht mehr sehen kannst, wann sie eingerissen werden müssen.'' - Giovanni (S. 143)



Im Jahre 1831 in Frankreich wird ein Kind geboren. Keine ungewöhnliche Sache, müsste man meinen, doch als Madeleine ihr Kind erblickt, erschrickt sie: ihr Kind sieht aus wie eine Leiche, ist wohl das Hässlichste und Grausamste, was je das Licht der Welt erblickt hat. Nur ihre Religiösität hält sie davon ab, das Leben des Neugeborenen zu beenden. Doch das Leben, das Erik führt, ist alles andere als schön: ohne mütterliche Liebe, ohne Kontakt zur Außenwelt wird er aufgezogen, von seiner eigenen Mutter dazu gezwungen, ständig eine weiße Maske über dem missgestalteten Gesicht zu tragen. Als er schließlich merkt, was sich darunter verbirgt und was es für ihn bedeutet, verändert sich das musikalische Genie - bis er schließlich zur Legende der größten Oper Frankreichs wird.





Meine Meinung ...




zum Cover:




Originalcover Nr. 2: ♥♥♥♥
Deutsches Cover: ♥♥♥♥
Originalcover Nr. 1: ♥♥♥♥


Da das Buch etwas älter ist, gibt es schon zur Genüge verschiedene Ausgaben dazu. Die weltweit bekannte Maske des Phantoms ist dabei natürlich auf fast allen abgebildet und hat ja auch eine durchaus große Rolle im Leben von Erik. Während das deutsche Cover allerdings nur auf dieses Merkmal anspielt, haben die anderen Originalcover noch seine musische Begabung integriert und auch eine symbolträchtige schwarze Rose. Alle von ihnen haben die Düsternis und das Geheimnisvolle gemeinsam, was durch die kräftigen  Rottöne und ihren Kontrast zu Schwarz verstärkt wird. Der Titel ist kurz, einprägsam und natürlich passend.
Insgesamt bietet das also einen echten Hingucker im Regal, egal in welcher Ausgabe!



zum Buch:





Keine Frage, Andrew Lloyd Webber's weltbekanntes Musical ebenso wie der Originalroman von Gaston Leroux um die aufstrebende Sängerin Christine und ihren Engel der Muse bieten auch so eine grundsolide Geschichte. Nicht nur in früherer Zeit, auch in heutiger erfreut sich vor allem das Musical großer Beliebtheit. Doch was in beiden Medien etwas schade ist, sind die wenigen Hintergrundinformationen zum bedrohlichen Phantom der Oper. Ein Gespenst, das die Pariser Oper in Angst und Schrecken versetzt, sich aber einer jungen Frau von einer etwas anderen Seite zeigt - was ist seine Geschichte? Was hat es erlebt, bevor es zum menschenscheuen und menschenverabscheuendem Phantom wurde? Was hat es zu dem gemacht, was es ist?
Gaston Leroux beantwortet diese Fragen in aller Kürze nur in den letzten Seiten des Buches. Susan Kay hingegen hat diese Fetzen an Informationen genommen und daraus erstaunliche, spannende und kreative Bilder erschaffen, die Erik als Figur vervollständigen. Von seiner Geburt bis zu seinem Tod begleiten wir ihn in einem außergewöhnlichen Leben, das bestimmt ist von Grausamkeit, Reisen und seiner Affinität zur Kunst. Dabei schafft es die Autorin, den Charakter so überzeugend und plastisch zu zeichnen, dass sich Das Phantom wirklich wie eine echte Biografie anfühlt statt eines biografischen Romans.
Geschildert wird Eriks Leben nicht nur von ihm selbst, sondern auch von einer Handvoll Personen, denen er im Laufe seines Lebens begegnet. In diesen jeweiligen Episoden variiert die Autorin leicht in Wortwahl und Schreibstil, sodass jede dieser Personen glaubwürdig wirkt, ebenso wie ihre Erzählperspektive. Sehr schön ist, dass man dabei aber nicht nur etwas über Erik und seinen Lebensweg erfährt, sondern auch über die restlichen Erzähler. Sie fungieren nicht nur als Sprachrohr oder als Mittel des Erzählens, nein, sie alle machen den Eindruck von realen Menschen, die durch ihre Kultur, ihre Familie und ihre Gedankenwelt geprägt sind und sich durch Erik verändern. Sie wirken realistisch und scheinen dem Leser zum Greifen nahe, weswegen man die Geschichte nicht nur als plot-, sondern auch figurengetrieben bezeichnen kann. Viele von ihnen prägen auch Erik auf eindringliche, teils unvergleichliche Weise und kommen zur Freude des Lesers nicht nur dann vor, wenn sie gerade von ihren Jahren mit dem Protagonisten erzählen.
Falls man ihn überhaupt als Protagonisten bezeichnen kann, wenn man bedenkt, wie er im Laufe seines Lebens verfällt. Von Anfang an ist klar, dass Erik etwas Besonderes ist, ob man es nun auf sein entstelltes Gesicht bezieht oder auf sein Talent bezüglich Architektur und Musik, die schon in frühen Jahren ersichtlich wird. Dabei stellt Susan Kay ihn jedoch nie als Special Snowflake oder als das (zunächst) typisch gruselige Kind aus einem x-beliebigen Horrorfilm dar, sondern als glaubwürdiges Wunderkind in den einen und als Spätzünder in anderen Bereichen. Isoliert von der Außenwelt und lieblos von seiner Mutter behandelt scheint er sich in seine Welt aus Musik, Architektur und Trickserei zu flüchten, entwickelt eine regelrechte Obsession darauf, die er im Laufe seines Lebens weiterentwickelt. Deswegen ist es auch glaubwürdig, dass er fast übernatürlich gut darin wird, denn wenn er keine Menschen um sich herum hat, die ihm aufrichtige Liebe schenken, worin kann er sonst Erfüllung finden als in seinen Künsten? Man bekommt aufrichtig Mitleid mit ihm und hofft, dass irgendwann eine Zeit kommt, in der über seine Entstellung hinweggesehen wird. Sich alleine vorzustellen, dass ein Kind praktisch vom Tag seiner Geburt an eine Maske tragen muss, weil die eigene Mutter seinen Anblick nicht erträgt, ist ziemlich schwer zu verdauen und verleiht dem Buch eine melancholische Schwere. Trotzdem kommt man nie in Versuchung durch sein Mitgefühl seine Handlungen zu rechtfertigen, die irgendwann in Machthunger und Menschenverachtung abdriften. Die Autorin hält die Balance zwischen einem zerbrochenen kleinen Jungen, der sich immer wieder von den Menschen in seiner Nähe enttäuscht sieht, und einem Mann, der sich durch grausame, geniale Taten von ihnen abheben und rächen will. Genau deswegen ist Susan Kays Erik eine interessante, sehr gute Interpretation der Originalfigur. Er fühlt sich zu keinem Zeitpunkt an wie eine Figur aus einer Fanfiction, sondern wie das, was Gaston Leroux selbst geschrieben hätte.
Daher begleitet der Leser Erik unheimlich gerne bei seinen Abenteuern, die abwechslungsreicher zum Zeitpunkt des 19. Jahrhunderts wohl kaum sein könnten. Man bereist mit ihm verschiedene Ortschaften und trifft unterschiedliche Figuren, die ihm Einiges und meistens Schlechtes mit auf den Weg geben. Einige Jahre verweilt er an diesen Orten und arbeitet einerseits daran, sich selbst zu verwirklichen, andererseits, sich selbst immer mehr zu entmenschlichen. Diese Ambivalenz in seiner Person macht es so interessant, seinen Werdegang mitzuverfolgen, da man Freude und Enttäuschung gleichzeitig empfindet. Immer wieder gibt es Szenen, in denen man zusammen mit Erik hofft, in denen man zusammen mit dem jeweiligen Erzähler sieht, dass er nicht durchweg Monster ist, und erlebt die Geschichte so quasi selbst. Gespickt mit dem leicht anspruchsvollen Schreibstil, der die Jahre an Handlung in den meisten Fällen ohne unnötige Längen beschreibt, kann man so nur durch das Buch rutschen. Vor allem die schwermütige Atmosphäre und die ausführlichen, authentischen Beschreibungen der jeweiligen Settings bieten dem Leser stetig Gründe, weiterzulesen. Man wird komplett hineingesogen, weil alles einem so real vorkommt: die Gepflogenheiten der Menschen, die Etikette, die Kulturen - all das hat die Autorin gut recherchiert und in Das Phantom eingebaut. Genauso verhält es sich mit den kleinen Easter Eggs, die für jeden Leser des Originalromans aufzufinden sind, da einige Erklärungen zu Dingen und Personen geliefert werden, die in Leroux' Roman wenig Raum bekommen haben. Teilweise ist das so geschickt integriert, dass es einem erst nach Beendigung des Erzählabschnitts auffällt. Was also den Aufbau des historischen Hintergrunds angeht, kann man die Autorin nur in höchsten Tönen loben!
Geht es also um die Geschichte Eriks, bevor es ihn nach Paris verschlägt, hat das Buch alles, was es zu einem sehr guten, spannenden, unterhaltsamen Roman macht. Doch für viele Leser geht es ab dem Zeitpunkt, in dem der Plot vom Phantom der Oper erzählt wird, bergab. Es stimmt, dass er sich etwas anders liest als der Teil zuvor, was jedoch daran liegen kann, dass man diesen Teil der Story schon kennt, wenn man von den Szenen absieht, die Kay dazuerfindet. Sie bietet einem nämlich durch eine andere Erzählperspektive wesentlich mehr Szenen zwischen Erik und Christine, die ihre Beziehung verdeutlicht. Es geht weniger um das Mysterium des Phantoms als um das, was auch immer zwischen den beiden sein mag. Denn schon im Original und im Musical streitet man sich darüber, ob das zwischen ihnen wirklich Liebe oder doch nur Obsession auf der einen, Mitleid auf der anderen Seite ist. Susan Kay hat sich für einen recht überzeugenden Mittelweg entschieden, der einigen Lesern durch explizitere Szenen durch den Strich gehen könnte, vor allem wenn man es von Christines Seite betrachtet. Sie wirkt naiver und verwirrter als im Original, ebenso wie ihre Beziehung zu Raoul weniger von Liebe geprägt scheint als von Nutzen. Darüber stutzt man sicherlich zu Beginn, allerdings ist es plausibel und weniger lückenhaft erklärt als im Original. Es bietet genau die Szenen, die man im Phantom der Oper vermisst, man wird häufig mit rührenden Dialogen und einer Menge Emotionen konfrontiert. Es ist gleichermaßen beängstigend und berührend zu sehen, wie es sich zwischen den beiden entwickelt, vor allem da man weiß, dass es nur böse enden kann. Beide Charaktere sind hin und her gerissen zwischen dem, was sie kennen, und dem, was sie haben könnten, und bilden daher ein dynamisches Duo. Vor allem Christines innerer Konflikt, der sich wegen der Geschichte ihres Vaters und zeitgleichem Entsetzen wegen Eriks Aussehen anbahnt, ist greifbar und macht sie trotz ihrer Leichtsinnigkeit nicht unsympathisch. Genauso kann man Eriks besitzergreifendes Verhalten ihr gegenüber verstehen, wenn man bedenkt, dass er zum ersten Mal das haben könnte, was ihm sein Leben lang verwehrt geblieben ist. Es ist die Geschichte zweier Menschen, die beide etwas in ihrem Dasein vermissen und durcheinander ausfüllen wollen, sich dabei jedoch selbst im Wege stehen. Und so viele Situationen Kay dazuerfindet und es zu Dingen kommen lässt, die sich wahrscheinlich nicht mal Leroux erdacht hätte, dieses essentielle Detail bleibt. Daher ist es verständlich, wenn einige Leser sich über die etwas andere Interpretation der Beziehung aufregen, jedoch bietet der Originalroman - zumindest für mich - genug Spielraum, um ein solches Szenario als vorstellbar zu halten.
Auch das Finale ist der Autorin nicht ganz so gut gelungen. Wie der Teil ab dem Aufeinandertreffen Christines und Eriks generell schnell abgehandelt wird, so wird es auch der Showdown, auch wenn er moderner und spannender inszeniert ist als im Original. Das ist für diejenigen schade, die sich ein etwas detailreicheres Finale gewünscht haben als im Ursprungswerk. Trotzdem schafft es die Autorin, dies durch den Epilog auszugleichen, da dieser recht überraschend ist und einen interessanten Blick darauf wirft, wie Erik Christine und Raoul geprägt hat. Während es in Leroux' Werk wie ein erzwungenes Happy End wirkt, zeigt Kay, dass die Figuren wesentlich mehr von dem legendären Phantom der Oper betroffen sind und es ihnen noch lange nachhängt. Das hat die Handlung noch realitätsnäher und eindringlicher erscheinen lassen, ebenso wie die erwähnten Figuren dadurch eine andere Tiefenebene bekommen haben. 




Letzten Endes hat es Susan Kay mit ihrem Roman geschafft, eine überzeugende, ergreifende und sowohl historisch als auch figurentechnisch glaubwürdige Biografie des Phantoms der Oper zu zeichnen. Man erlebt die Geschichte eines Menschen, der durch die Oberflächlichkeit und Grausamkeit der Gesellschaft selbst lernte, sich von ihnen zu distanzieren und sich stattdessen nur auf sein Schaffen zu beschränken - bis er erkennt, dass er doch nicht ohne Menschen auskommt. Es ist an vielen Stellen traurig und schwermütig, an einigen auch schockierend und mitleiderregend, und zieht einen komplett ins Geschehen hinein. Die Figuren wirken lebensecht, vor allem der Protagonist, der durch seinen kleinen Teil an Menschlichkeit nie wirkt wie das pure Böse, sondern jemand, der sich nach seinem Maßstab richtig verhält. Trotzdem nimmt man seine Taten nie in Schutz und steht ihm ebenso fasziniert und auch zwiespältig gegenüber wie all jene, die seine Geschichte episodenhaft erzählen. Abrunden tut dies Susan Kay mit einem hervorragenden Schreibstil und Settings voll sprühender Kreativität. Einzig bei dem Teil, den sie nicht erfunden hat, wirkt sie weniger bei der Sache und handelt einige Dinge vielleicht zu schnell ab, als das Fans des Musicals oder Ursprungswerk es nachvollziehen könnten. Trotzdem ein herausragender Roman, der einem tollen, doch mysteriösem Bösewicht eine Stimme und Geschichte verleiht!






Ich gebe dem Buch:


♥♥♥.♥ Herzchen


Extra:



Solltet ihr an Leroux' Ursprungswerk interessiert sein, so könnt ihr euch hier meine Rezension dazu durchlesen :)
Und falls ihr das tolle Musical aus irgendeinem Grund nicht kennen solltet - hier der Link zum Titellied <3

CU
Sana

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