Artikel 5 unseres Grundgesetzes legt fest, dass jeder hier in Deutschland ein Recht auf eine freie Meinung hat, genauso wie das Recht auf eine Äußerung dieser Meinung.
Dazu gehört also auch ein Recht auf Diskussionen, denn die entstehen durch verschiedene Meinungen. Man bespricht gemeinsam und gegenseitig Punkte, wägt Dinge gegeneinander ab, versucht dem anderen seinen Standpunkt zu erklären. Darauf basieren nicht nur die Entscheidungen von Politikern über wichtige Themen unserer Gesellschaft, sondern auch Freundschaften, Partnerschaften, selbst ein Plan für den heutigen Abend mit anderen Personen ist abhängig von ihren Meinungen. Ohne Diskussionen käme es nicht zu reflektiertem Denken. Ohne gegenseitiges Verständnis füreinander kann man seinen Horizont nicht erweitern. Ohne das Gespräch wird man andere vielleicht niemals auch nur ansatzweise so gut verstehen lernen wie sich selbst.
Es ist etwas Grundmenschliches und auch etwas, ohne das unsere Gesellschaft nie so weit gekommen wäre. Vor allem in heutiger Zeit mit Fake News und der Tatsache, dass sich (auch falsche) Tatsachen so schnell verbreiten lassen, ist es wichtig, sich differenziert mit etwas auseinanderzusetzen. Und da können Diskussionen sehr helfen. ,,Hey, hast du dies und jenes schon gehört?'' - ,,Nein, das ist nur ein Gerücht, in Wirklichkeit ist es so ...'' Alleine so etwas ist schon sehr wichtig und setzt essentielle Grundsteine in unserem Kopf.
Doch von Gesinnungen und Grundeinstellungen mal abgesehen - das hier ist hauptsächlich ein Bücherblog. Ich teile meine Meinung über die Bücher, die ich lese, begründe sie, hoffe, damit Menschen zu helfen, die sich für diese Bücher interessieren. Allerdings hoffe ich damit auch, diejenigen zu erreichen, die eine andere Meinung haben als ich und Diskussionen anzuregen, vor allem wenn es um solche kontroversen Werke wie Shades of Grey, Dachdecker wollte ich eh nicht werden oder Tote Mädchen lügen nicht geht. Vielleicht kann man so anderen die Augen öffnen oder erkennen, dass etwas, das man vorher selbst zu sehen glaubte, eigentlich nur überinterpretiert ist.
Diskussionen entstehen auch dank Rezensionen und den Kommentaren dazu, dank Unterhaltungen zwischen zwei Lesern, die dasselbe Buch konsumiert haben, und das ist auch gut so. Heute werden keine Bücher mehr verbrannt und jeder kann das lesen, was auch immer er lesen möchte.
Warum muss man das aber in einer Diskussion immer erwähnen?
,,Das ist eben meine Meinung.''
,,Jedem das Seine.''
,,Geschmäcker sind eben verschieden.''
,,Man kann halt nicht alles toll finden.''
,,Wenn du es nicht magst, warum liest du es überhaupt?''
Diese Phrasen scheinen immer häufiger und immer schneller aufzutauchen, sobald man über ein Werk diskutieren will. Und ich stelle mir immer die Frage: Warum?
Warum werden diese Phrasen immer wie ein Schutzschild vor sich gehalten und erwartet, dass sich das Gegenüber damit zufrieden gibt? Warum wird so ein Satz rausgeholt, bevor man überhaupt über die Meinung des Gegenübers nachdenken oder einlenken kann, dass man die andere Sicht versteht?
Ich bin jemand, der viele unbeliebte Meinungen preisgibt. Handle es sich um die erwähnte Geschichte über psychischen Missbrauch in einer toxischen Beziehung, die als SM verkleidet wird, der Briefroman über die kleine Schwester einer Magersüchtigen, die ihr Briefe schreibt, oder um die von allen Seiten umjubelte Herr der Ringe Trilogie - ich scheue mich nicht zu sagen, dass ich kein so großer Fan dieser Werke bin wie viele andere, dass ich sogar in einer Minderheit bin. Ich bin auch nicht die einzige, die in so einer Minderheit steckt, und bei vielen anderen entdecke ich eine recht beunruhigende Entwicklung: Entweder vor oder nach der Meinung wird herausgehoben, dass es ja nur die eigene Meinung ist und dass viele andere das Buch besser fänden und man niemanden damit angreifen möchte. Und erst dann gibt man seine Meinung preis.
Punkt Nummer 1: Was heißt hier ,,nur'' die eigene Meinung? Jede Meinung ist sehr wichtig, wenn sie begründet und argumentiert ist. Wenn man sagen kann, dass etwas gut ist, weil ... und etwas schlecht ist, da ... . Dass nicht jeder dieselbe Meinung hat, schmälert die Tatsache nicht, dass man sich seine selbst gebildet und Gedankenarbeit da reingesteckt hat, dass man dahinter stehen kann. Warum also diese Relativierung, dass es nur die eigene Meinung ist? Mehr wird doch von einer Rezension oder Kritik, egal ob geschrieben oder gesprochen, doch gar nicht erwartet. Wessen Meinung soll es sonst sein wenn nicht die eigene?
Punkt Nummer 2: Wieder eine Relativierung. Viele denken etwas anderes, also muss meine Ansicht falsch sein. NEIN. Einfach NEIN. Es ist vollkommen egal, wie viele Menschen eine Meinung teilen, wenn es darum geht, sie auszusprechen, oder sollte es zumindest sein. Man hat und begründet sie, das ist das Einzige, was zählt. Falls derjenige, der diese Rezension liest oder sich mit seinem Mitbüchermenschen unterhält, sich auch andere Meinungen einholen möchte, wird er das sowieso tun, das muss man ihm nicht sagen. Schon gar nicht, um seine eigene Meinung kleiner zu machen. Bücher sind Kunstwerke - man muss nicht darüber abstimmen, ob es gut ist, wie man über Gesetzesvorschläge in einem Parlament abstimmt.
Punkt Nummer 3: Das ist der Punkt, den ich am allerwenigsten nachvollziehen kann. Man bespricht ein Buch, ein Werk, die schriftlichen Ergüsse eines Schriftstellers, egal ob Biographie, Thriller oder Fantasy. Man bespricht seine Inhalte, seine Charaktere, seine Themen. Man bespricht nicht die Menschen, die dieses Buch lesen. Wenn man also sagt, dass man etwas nicht gut findet, warum sollte man das persönlich nehmen, auch wenn es das Lieblingsbuch ist? Weil man eine persönliche Präferenz angreift, etwas, womit man vielleicht aufgewachsen ist? Solange man nicht so etwas sagt wie ,,Jeder Mensch, der dieses Buch mag, ist dumm.'' oder ,,Du hast doch überhaupt keine Ahnung.'' und damit jemanden explizit angreift, wird man sich niemals persönlich betroffen fühlen müssen. Wenn der Schreibstil für jemanden holprig oder unfreiwillig komisch ist, hat das nichts mit einem selbst zu tun. Wenn man die Charaktere angreift, dann greift man nicht einen selbst an, so sehr man auch das Bedürfnis hat, sie in den Schutz zu nehmen. Daher ist dieser Disclaimer einfach nicht notwendig.
Aber genau diesen dritten Punkt missverstehen so viele. Vor allem im Bereich des New Adult habe ich schon so einige Diskussionen mit Menschen zu führen versucht, die jedes dieser Bücher aus dem Genre verschlingen. Ich bin eindeutig kein Fan dieser Kategorie, aber trotzdem bin ich bereit, mit Menschen darüber zu sprechen. Ich möchte verstehen, woher der Hype kommt und warum man die Bücher von Autorinnen wie Abbi Glines oder J. Lynn toll findet. Sollte sich ein gemeinsam gelesenes Werk als Schnittpunkt finden und ich ansprechen, dass ich einige Probleme darin sehe, dann kriege ich aber häufig die oben genannten Phrasen. Diskussion beendet. Reden wir über was anderes.
Warum? Weil man seine Lieblingsbücher so wenig zu verteidigen weiß? Weil man keine Lust hat, seine Meinung zu reflektieren? Immerhin könnte man jemanden, der eine gegenteilige Ansicht hat, doch auch von seiner zu überzeugen versuchen. Fühlt man sich so, als würde der andere einen missionieren wollen? Kommt daher dieses Pochen auf dem Grundrecht, was aber nur eine Verkleidung dafür ist, dass man die andere Meinung gar nicht hören möchte? Oder weil man Schwierigkeiten hat zu sagen, warum man etwas mag? Weil man sich beleidigt fühlt, wenn man so was hört wie ,,Die Charaktere verhalten sich in dem Buch aber nicht unbedingt schlau.''?
Warum identifiziert man sich so sehr mit einem Buch? Solange man respektvoll miteinander spricht und es nicht auf die persönliche Ebene geht, wo ist das Problem? Warum dieses ständige Jeder hat einen anderen Geschmack? Ist es so überwältigend, wenn jemand mehr zu einem Buch sagen kann als ,,Ich mag es halt'' oder ,,Ich mag es halt nicht''?
Auch bei einigen Rezensionen in Schrift- oder Videoformat ist zu merken, dass es nur wenige Leser gibt, die wirklich viel zu einem Buch sagen können. Es gibt sogar Rezensionen mit einer Länge von weniger als 4 Minuten oder Erläuterungen, die kürzer sind als der eigentliche Klappentext des Buches. Hat man einfach keine Lust zu beschreiben, was die Vor- und Nachteile eines Buches sind? Oder will man sich schlichtweg unangreifbar machen? Wenn man Monats- oder Jahresrückblicke macht - okay, da geht es manchmal wegen der Menge an Gelesenem nicht anders. Da muss man sich kürzer halten. Aber in einer Rezension hat man doch allen Platz der Welt, genauso wie in einer Diskussion mit seinem Gegenüber.
Und selbst wenn man auf keinen grünen Zweig kommt - so what? Das Wichtigste an einer Diskussion ist nicht, dass man zu einem einhelligen Ergebnis kommt, sondern der Weg zum Ende. Denn so kann man voneinander lernen und etwas mitnehmen. Und genau dieser Austausch ist doch das Wichtigste, denn so unterschiedlich unsere Meinungen zu verschiedensten Werken der Literatur auch sind - wir alle lieben Bücher. Wir haben alle etwas gemeinsam. Und das sollte doch schon reichen, damit man in Ruhe über etwas reden kann, ohne dass es persönlich oder beleidigend wird oder auch nur so aufgefasst wird.
Daher mein Plädoyer: Das ist kein Beitrag, um mich als besser darzustellen als andere. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass es keinen Stich versetzt, wenn ich höre, dass jemand meine absoluten Lieblingsreihen nicht mag. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich nicht schockiert bin, wenn mir jemand sagt, dass er die Bücher von Abbi Glines' Rosemary Beach Reihe total lieb gewonnen hat. Daher reagiere ich auch nicht hundertprozentig neutral. Aber es wäre doch schön, wenn wir alle daran arbeiten könnten, diese Differenzen zu überwinden und diese Hemmschwelle zur Diskussion abzubauen! Wir sollten aufhören, Abneigungen gegen ein Buch als Abneigung gegen uns persönlich zu sehen. Wir sollten anfangen, uns darüber Gedanken zu machen, warum wir etwas mögen oder nicht mögen, und sollten uns auch darauf einstellen, dass nicht alle so denken. Trotzdem sollte man mit dieser Erkenntnis nicht aufhören, dem anderen zuzuhören, und alles andere für einen Angriffs- oder Missionierungsversuch halten - im Gegenteil, man sollte dann umso genauer hinhören. Denn egal wie das Gespräch endet, man wird etwas davon mitgenommen haben. Man sollte andere Meinungen tolerieren und die eigene toleriert sehen, natürlich - aber das ist nur die halbe Miete. Wenn man sie versteht, hat man noch viel mehr gewonnen. Verstehen, nicht nachvollziehen.
So wird man hoffentlich in Zukunft auch nicht mehr solche Unpopular Opinion Disclaimer setzen müssen oder Phrasen wie eine weiße Fahne vor sich schwenken.
Habt keine Angst davor, eure Meinung zu sagen. Jeder, der mit euch spricht, weiß, dass es sich um eure Sicht handelt, und die ist genauso viel wert wie die des Gegenübers, sofern ihr sie begründen könnt. Habt aber ebenso wenig Angst, andere Meinungen zu hören, auch wenn sie euch beeinflussen könnten. Also: Sprecht, teilt euch mit, und steht zu euch selbst!
CU
Sana
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