Grundwissen:
♥Titel♥: Der erste Stein - Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche (original: La prima pietra. Io, prete gay, e la mia ribellione all'iprocrisia della Chiesa)
♥Autor-/in♥: Krzysztof Charamsa
♥Erschienen♥: 2017 im C. Bertelsmann Verlag (Hardcover)
♥Seitenanzahl♥: 300 Seiten einschließlich Brief an Leser und Papst Franziskus sowie Erklärung seines Coming-Outs und seines Manifests der Schwulenbefreiung
♥Genre♥: Autobiographie; Non-Fiction; Tabuthema
Quelle: © Rizzoli Verlag |
Quelle: © C. Bertelsmann Verlag |
Inhalt:
,,Wir waren also zum Stillstand verurteilt, steckten in einer erstarrten Denkweise fest, während die faszinierende Entwicklung auf allen möglichen Gebieten es eigentlich dringend erforderlich gemacht hätte, dass wir unsere veralteten Ansichten der modernen Zeit anpassten.'' - S. 152
Krzysztof Charamsa war schon immer gläubig. Aufgewachsen in einem der katholischsten Länder Europas - Polen -, entscheidete er sich für eine Karriere als Priester, um die christliche Nächstenliebe auszuleben. Doch schon zuvor merkt er, dass er anders ist, nicht Frauen gegenüber Interesse hat, sondern Männern. Über zehn Jahre lang verdrängt er seine Natur und sieht seine Kirche vor innerem Auge verrotten, bis er sich schließlich traut, mit seinem Coming-out auszubrechen und in diesem Buch mit der Kirche abzurechnen.
Meine Meinung ...
zum Buch:
Alleine der Titel ist so provokant, dass man nicht drumherum kommen wird, sich dieses Werk genauer anzusehen, wenn man sich für die Thematik interessiert. Ein homosexueller Priester, der die offenkundige Homophobie der Kirche offenlegen will. Ein hochspannendes Konzept, das aber leider nichts Neues erzählt.
Der Autor beginnt mit einem Vergleich seiner selbst mit dem Protagonisten einer Erzählung von Herrmann Hesse, die in einem Kloster spielt und irgendwann auf eine Liebschaft zwischen den zwei Mönchen anspielt. Sehr einfühlsam und eindringlich beschreibt er, wie er sich mit ihm identifizieren kann, der er bis an sein Lebensende seine Sexualität nicht ausleben kann und daher unglücklich verstirbt. So entwickelt man recht schnell Mitgefühl für den ehemaligen Priester und ist gespannt darauf zu erfahren, wie er genug Mut zusammennehmen kann, um seine Geschichte zu erzählen. Aus diesem Grund fokussiert er sich im ersten Teil des Buches auf sein Leben als Junge und Lehrling, während er im zweiten Teil seine kritischen Beobachtungen gegenüber dem Vatikan äußert, und erst im dritten Teil auf sein Coming-out zu sprechen kommt. Ein Aufbau, der gar nicht so schlecht klingt, aber schnell repetitiv wird und teilweise auch zu intellektuell geschrieben ist, um den Durchschnittsleser anzusprechen. Er bezieht sich auf viele existierende Quellen, Werke, die sich mit der Kirche auseinandersetzen, als auch Werke, die die LGBTQ-Community unter die Lupe nehmen. Wirklich erklären tut er sie jedoch nicht, sondern reißt sie vielmehr nur an, indem er behauptet, die Aussagen darin zu unterstützen. Ebenso wichtige (religions)philosophische Gedankengänge, wie Platons Höhlengleichnis, setzt er beim Leser scheinbar als Grundwissen voraus. Folglich ist das Buch eher für eine Zielgruppe geeignet, die, ebenso wie er, viele Bücher empirisch unter die Lupe genommen hat und sich in derselben Situation befindet, in der er den Großteil seines Lebens steckte. Sollte man dieses Vorwissen nicht haben, weiß man an einigen Stellen nicht viel mit seinen Erläuterungen anzufangen.
Erläuterungen, die sich in jedem Kapitel wiederholen. Es ist logisch, dass die Homophobie der Kirche den Autoren wütend macht und übermannt, immerhin gehört er seit er denken kann zum Christentum und hat seine Glaubenssätze idealistisch kontinuierlich vertreten. Sein Zwiespalt, als er merkt, dass er eine von der Kirche verachtete Sexualität besitzt, ist dahingehend sehr gut und nachvollziehbar beschrieben. Man verurteilt ihn nicht dafür, dass er sein wahres Selbst so lange verdrängt und sich erhofft, in den höchsten Rängen der Kirche nie davon in Versuchung geführt zu werden, da man in einem so konservativem Umfeld wahrscheinlich genauso gehandelt hätte. So begreift man auch seine stetig zunehmende Verzweiflung, da er nicht seine Existenz und seine Berufung verlieren möchte, zugleich aber auch nicht mehr damit leben kann, sich zu verstellen. Doch von diesen persönlichen Passagen abgesehen liest man hauptsächlich immer und immer wieder dieselbe Argumentation, weshalb der Vatikan sich gegen die Homosexualität einsetzt und wie schlimm dies doch sei. Selbstredend kommt dies einem Verbrechen gegen die Menschheit gleich, als aufgeklärter Mensch erfährt man jedoch nichts, was man nicht schon zuvor gewusst hätte. Es wird höchstens mit einigen Textpassagen und angeblich wörtlichen Zitaten von Mitarbeitern des Vatikans untermauert, wie verachtenswert jedes ,,Abnorme'' ist. So hat der Autor seine Message schnell auserzählt, fängt in jedem Kapitel allerdings von Neuem an sie zu erklären. Das ist auf Dauer ermüdend und lässt durchblicken, dass Charamsa noch viele Jahre daran wird arbeiten müssen, den Verrat seiner Kirche ihm gegenüber zu verdauen.
Außerdem sind die pikanteren Informationen, die der Autor dem Leser mitteilt, sehr kritisch zu betrachten. Positiv ist anzumerken, dass er sein Heimatland wie auch andere europäische Länder und ihren Umgang mit der Homosexualität vorstellt, insbesondere da dies Staaten sind, von denen man recht wenig mitbekommt. Insbesondere sein Kapitel zu Polen und seiner versteckten Theokratie ist kompakt und eindrucksvoll beschrieben. Ebenso beschäftigt er sich nicht nur mit dem kirchlichen Umgang mit Homosexuellen, sondern mit Sex an sich und stellt heraus, dass diese weltfremde, im 18. Jahrhundert steckende Institution kein Recht dazu hätte, den Menschen darin Vorschriften zu machen. Aussagen, die jeder nachdenkende Mensch unterschreiben würde und die er mit einigen Fallbeispielen belegt, wie das eines Ehepaars, dem es verweigert wurde, den Mann auf seine Potenz prüfen zu lassen, da er nur durch die verpönte Selbstbefriedigung eine Probe seines Spermas an den zuständigen Arzt hätte schicken können.
Gemischte Gefühle hingegen ruft vor allem der zweite Teil des Buches hervor, in dem sich Charamsa rausnimmt zu behaupten, die Hälfte des Klerus sei schwul. Natürlich kann er mit über zehn Jahren Arbeitszeit im Vatikan sicherlich einige valide Aussagen treffen, allerdings erscheint diese doch sehr pauschal und zynisch, als wüsste er nicht, wie er die Homophobie seiner Mitarbeiter sonst erklären sollte. Zwar erwähnt er keine Namen, lässt sich aber auch dazu verleiten, Vermutungen anzustellen, dass im Vatikan selbst recht viele homosexuelle Beziehungen geführt werden. Für jemanden, der genauso einen Ärger auf diese Institution verspürt wie er, kann das einen starken Eindruck machen, diejenigen, die diese Thematik aber neutraler betrachten können, werden sich aber fragen, weshalb der Autor sich so eingehend damit beschäftigt. Immerhin prangert er doch selbst an, die Kirche würde sich viel zu sehr in das Sexleben von Menschen einmischen - warum also muss er selbst solche Aussagen treffen? Nur aus lauter Enttäuschung über eine Gemeinschaft, die er sein Leben lang verehrt hat? Das wirkt an einigen Stellen kindisch und lässt das Beschriebene unseriös erscheinen, auch wenn er nicht alle aus dem Klerus verteufelt.
Und so fixiert er auf das Herausstellen der Sexbesessenheit des Vatikans ist, so viel beschränkt er sich selbst auf seine Homosexualität. Andere Punkte seines Lebens werden nur angerissen, was die ständigen Wiederholungen über seine Sexualität begünstigt. Doch leider wird auch dort nur von Gefühlen gesprochen statt vielleicht eine Situation literarisch auszulegen, in der er und ein Mann sich nähergekommen sind oder dergleichen. Sollte so was vorkommen, so wird es in einem Absatz abgefrühstückt. Sonderlich persönlich wird der Autor also nie, außer im letzten Teil, wo er sich zu seiner Sexualität bekennt. Dort reißt er einen emotional mit und lässt einen mitfühlen, welche Befreiung dahinter steckt. Ebenso verliert er auch einige positive, reflektiertere Worte über den Klerus, indem er Papst Franziskus für seine guten Ansätze lobt, die umsetzbar wären, wenn der Großteil des Klerus nicht gegen ihn wäre. Das hat dem Buch doch noch einen runden und hoffnungsvollen Abschluss gegeben.
Krzysztof Charamsa versteht sich definitiv darauf, mit Leidenschaft für eine unterdrückte Minderheit einzutreten. Teilweise zynisch stellt er die Fehler der Kirche heraus und setzt spricht sich dafür aus, sie weniger Macht über ein so empfindliches Thema haben zu lassen, vor dem sie sowieso nur die Augen verschließt. Diese Aussagen sind gut untermauert, allerdings in Dauerschleife wiederholt. Für diejenigen, die sich schon mit der Thematik befasst haben, wird hier also wenig Neues zu finden sein, außer die von ihm herangezogenen Filme und Literatur, die man mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht kennen wird. Insofern tendiert der Autor zum Schwafeln und erzürnt sich regelmäßig so sehr über die Kirche, dass er sich einige sehr provokante Theorien anmaßt. Kein schlechtes, wenn auch leicht unpersönliches Sachbuch mit weniger neutralem Tonfall, das einige Jahre zu spät veröffentlicht wurde.
Ich gebe dem Buch:
♥♥♥ Herzchen
Extra:
Wen das Thema Homosexualität im Allgemeinen ohne kirchlichen Unterton interessiert, dem ist dieses Video von der BookTuberin emmasbooks zu empfehlen. Darin geht sie auf Jugendbücher ein, die sich mit anderen Sexualitäten befassen. Ich habe jedenfalls einige interessante Empfehlungen aufschnappen können :3
CU
Sana
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