Freitag, 24. August 2018

:)Rezension:): Mein linker Fuß

Grundwissen:



Titel: Mein linker Fuß (original: My left Foot)
Autor/-in: Christy Brown
Erschienen: 1995 im Diogenes-Verlag; original 1954
Seitenanzahl: 192 Seiten
Preis: 11, 00 € (Taschenbuch); 7, 99 € (Kindle Edition)
Genre: Autobiographie; Erfahrungsbericht




Quelle: © Diogenes Verlag
Quelle: © Vintage Books























Inhalt:


,,And yet I was soon to realize that it was this very affliction, which I regarded in my worst moments as a curse from God, that was to bring a strange beauty into my life.'' - p. 132


Im Irland des Jahres 1932 wird Christy Brown als zehntes von zweiundzwanzig Kindern geboren. Er wächst nicht nur in Armut auf, sondern leidet unter einer schweren Athetose, einer Behinderung, die ihn am ganzen Körper lähmt. Nur sein linker Fuß ist nicht davon betroffen und zeigt, welches Potential in dem kreativen Kopf steckt, der später ein berühmter irischer Künstler und Autor werden sollte.




Meine Meinung ...



zum Buch:




Wer eine außergewöhnliche Lebensgeschichte mit einer faszinierenden, kämpferischen Persönlichkeit als Erzähler lesen möchte, dem kann Christy Browns Biographie definitiv etwas Großartiges bieten.
Als wäre es nicht beeindruckend genug, dass Brown diese knapp 200 Seiten mit seinem linken Fuß niedergeschrieben hat, so ist es umso beachtlicher, wie hautnah und authentisch er seine Geschichte erzählt. In sehr einfachen, aber auch sehr klangvollen Worten schildert er, wie seine Liebe für die Kunst erweckt wurde und wie er insbesondere von seiner Mutter in allen Belangen unterstützt wurde. Er schreibt nicht viel über die Persönlichkeit seines sozialen Umfelds - hauptsächlich seine Familie -, aber dennoch hat man das Gefühl, sie in den wenigen Seiten kennenzulernen. Man kann gar nicht anders als sich in dieser dynamischen Großfamilie wohlzufühlen und seiner Mutter wie auch seinen älteren Geschwistern Respekt dafür zu zollen, wie sie mit der Behinderung des Autors zur damaligen Zeit umgegangen sind. Denn Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts im katholischen Irland gibt es nicht die Möglichkeit, auf eine Förderschule zu gehen, in der Werkstatt zu arbeiten oder auch nur barrierefrei durch die Stadt zu kommen. Menschen mit Behinderung waren damals von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben abgeschnitten, wurden als Krüppel bezeichnet und selbst von Ärzten, wenn sie derart eingeschränkt waren wie Christy Brown, sofort nicht nur als körperlich, sondern auch geistig behindert eingestuft. Keine Förderungsmöglichkeiten, keine familienentlastenden Dienste, keine Integration oder gar Inklusion. Natürlich ist sie heutzutage immer noch nicht erreicht, aber wenn man über Christy Browns Leben liest wird einem klar, wie gut es viele Menschen mit Behinderung heutzutage haben.
Und so kippt auch Browns anfängliche Lebensfreude, sobald er bemerkt, dass er anders ist als seine Geschwister, dass er nicht nur körperlich, sondern in seinem Leben allgemein eingeschränkt ist. Die Kunst als Zuflucht vor der Realität, Freundschaften aus Mitleid, das zunehmende Gefühl des Aneinandervorbeilebens - man kann nur mit offenem Mund auf die Seiten starren, auf denen er dieses Gefühl der Ausgrenzung so einfach und zugleich so perfekt beschreibt.

,,All around me were signs of activity, effort, growth. Everyone had their minds and hands active. They had interests, activities and aims to make their lives and integrated whole and give their energies a natural outlet and a natural medium of expression. I had only my left foot.'' - p. 78

Auch wenn man selbst nie in seiner Situation war, man kann sich wunderbar in ihn hineinfühlen und verflucht die Umstände der Zeit, die ihm in seiner Kindheit ein möglichst normales Leben verweigert haben. Man würde jede Person, die nur aus Mitleid mit ihm Zeit verbringt oder mit ihm selbst im Erwachsenenalter spricht wie mit einem Kleinkind, am liebsten schütteln, und mit Christy Brown in die Welt hinausgehen, um jedem zu zeigen, dass seine Behinderung nicht ansteckend ist, und ihm zu zeigen, dass er kein Außenseiter sein muss. Daher nimmt der Autor einen wahnsinnig mit, ohne jemals ins Melodramatische abzudriften, und das obwohl man das in seiner Situation verstehen könnte. Er durchläuft sogar eine Zeit der Verleugnung, in der er an eine potentielle Heilung glaubt und sich dabei an seinen Glauben an Gott klammert. Es tut einem regelrecht weh zu lesen, wie ihm gleichzeitig eine erwachsene Ernsthaftigkeit anhaftet sowie eine kindliche Hoffnung auf etwas Unmögliches.

,,I knew I was a child no longer, but neither was I 'grown up'. I was poised between the blissful ignorance of childhood and the awakening pain and frustration of adolescence. I longed to be ignorant and happy as before. But I knew childhood had gone. I had seen hopelessness and futility of my future that day in the back yard when a child gazed on me with a look of pity in her eyes.'' - p.77

Allerdings beschreibt er nicht nur die negativen Aspekte seines Lebens. Christy Brown ist kein Optimist, lernt allerdings mit seinen Problemen zu leben und das Beste aus sich selbst zu machen. Man merkt wirklich, wie er in seiner Kunst aufgeht und lernt, sich dadurch auszudrücken, wenn er sich schon verbal nicht äußern kann. Auch seine Affinität zur Literatur und wie er die Anfänge seiner Biographie beschreibt, sind herrlich beschrieben und zum Teil nicht nur selbstkritisch, sondern auch selbstironisch. Welcher Autor gibt schließlich schon gerne zu, dass sein erster Entwurf schlecht ist? Dadurch blitzt immer wieder, auch durch Christy Browns Familie, Humor auf, der zeigt, dass sich selbst in für das Individuum unüberwindbar scheinenden Situationen schöne Momente finden können. Allgemein sind die Personen, auf die er im Laufe seines Lebens trifft, unheimlich hilfsbereit und können ihm für später Stützen bieten, die es ihm möglich machen, an die Öffentlichkeit zu gehen und sogar eine Physiotherapie anzutreten. Allgemein sind die Anfänge davon in den 1950er-Jahren hochinteressant und teilweise nicht mehr mit den heutigen Überzeugungen gleichzusetzen. So lernt Brown auch andere Menschen mit Behinderung kennen und lernt, dass er nicht alleine auf der Welt ist und so auch mit einer anderen Gruppe von Menschen als seiner Verwandtschaft eine tiefe Verbindung aufbaut.
Trotz allen Lobes ist die Kürze der Biographie etwas schade, da man nur etwas von seinen frühen Jahren erfährt, kaum etwas allerdings darüber, wie seine Karriere weiterhin verlaufen ist. Welchen Schwierigkeiten stand er als Künstler mit Behinderung gegenüber? Welche Kunstwerke hat er allgemein erschaffen? Wie lange dauerte es, bis man ihn als Individuum ernst nahm? All das sind Fragen, denen man selbst wird nachgehen müssen, da der Autor - dessen Biographie auch sein erstes veröffentlichtes Buch ist - sie nicht miteinbezieht. Der klare Fokus ist das Leben mit einer Behinderung, ein großer Bestandteil seines Daseins, aber dennoch hätten einen die Werke eines Künstlers in seiner Biographie doch auch interessiert. Schließlich macht ihn doch auch das aus, nicht wahr?



Hautnah und authentisch beschreibt Christy Brown die frühen Jahre seines Lebens und seine kleinen Anfänge als Künstler in sehr klaren und einfachen, aber treffenden und präzisen Worten. Allgemein schafft er es mit Bravour, in aller Kürze seine Familie, seine Stimmung und seine emotionale Veränderung zu beschreiben, weswegen er den Leser vollkommen an seine Worte fesselt und das Buch innerhalb von kürzester Zeit verschlingen lässt. Es ist wunderbar, wie er zwar durch die Fokussierung auf seine Behinderung erzählt, wie es ist, sich ausgegrenzt zu fühlen und sich nicht mitteilen zu können, ohne sich darauf zu minimieren, denn dem Buch liegt kein negativer Grundton zugrunde. Er ist nicht seine Behinderung und lernt, wie er sich nicht dadurch unterkriegen lässt, was eine fantastische Botschaft auch für Menschen ohne körperliche Einschränkungen ist, die sich dafür aber von anderen Unsicherheiten selbst einschränken. So bekommt man einen tollen Überblick über seine Persönlichkeit und den Kampf mit sich selbst. Dennoch wären ein paar Einblicke in sein Leben als professioneller Künstler und Autor auch interessant gewesen, wenn er schon zeigt, dass er Christy Brown die Person ist und nicht Christy Brown der Behinderte. Nichtsdestotrotz herzerwärmend und eine klare Empfehlung!



Ich gebe dem Buch:


♥ Herzchen



Extra:


Diese Biographie wurde 1989 auch verfilmt. Wer sich dafür interessiert, der kann sich gerne dieses Video anschauen :3




CU
Sana

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen