Freitag, 7. September 2012

♥Ich Fühl' Mich Gut, Ich Fühl' Mich Schlecht - Was Davon Ist Echt?♥

Ich will ganz ehrlich mit euch sein.
Nicht nur, weil ich Lügen verabscheue, sondern auch, weil ich mich nicht schäme, zuzugeben, wer und wie ich bin. Wirklich bin, nicht nur meine äußere Schale.

Denn die besitzt jeder, das ist mittlerweile etwas geworden, was jeder Mensch benötigt.

Ein Lächeln aufsetzen, wenn man weinen will.
Lachen, wenn man eigentlich schreien möchte.
Immer wiederholen ,,Ich bin okay, es geht mir gut.'', und sich dabei genau das Gegenteil denken.
Eine selbstbewusste, undurchdringbare Fassade aufbauen, damit die anderen nicht hindurch kommen.
Und wenn man alleine ist, lässt man alle Gefühle raus.


Ich habe in letzter Zeit ziemlich oft geschrieben, dass es mir gerade super geht. Dass die Schule gut läuft, dass ich sogar Mathe verstanden habe, und ich fühle mich mittlerweile nicht mehr ganz so wie der Außenseiter der Klasse. Doch ehrlich; es gibt einige Menschen, die mit mir nicht aus Mitleid in der Klasse reden.
Ich habe zwei Einsen geschrieben, ich melde mich viel. Die Arbeit, die wir am Donnerstag geschrieben haben, wir für mich garantiert auch nicht schlechter als im Dreierbereich ausfallen. In Deutsch bin ich doch die Beste der Klasse.
Zuhause ruft mich meine beste Freundin an, und wir reden und lachen so lange miteinander, dass es erscheint wie ein halber Tag. Und wenn ich auflege, habe ich noch ein Funkeln in den Augen.

Ich habe doch Grund genug, glücklich zu sein. Wenigstens zufrieden.
Oder?


Teilweise bin ich das auch. 
Gut, ich habe zwar immer noch mit Problemen zu kämpfen, aber ohne Probleme funktioniert ein Leben auch nicht.
Es sind gewöhnliche Probleme: 
Ich bin nicht schön.
Ich bin nicht super-intelligent.
Ich habe nicht so viele Freunde, wie ich gerne hätte.
Ich vermisse jemanden.
Brauche diesen jemand.
Meine Noten könnten besser sein.
Freundschaften werden zu Feindschaften.
Auf Facebook chatten, in der Realität nicht mal ,,Hallo, Sweety'' sagen.
Jeder hat einen festen Freund, nur ich nicht.

Ich weiß, ich weiß.
Ich bin jung, mein Leben fängt gerade erst an. Ich muss noch keinen Freund oder viele Partys geschmissen haben.
Ich soll mein Leben nur genießen.

Und wie gesagt, ich kann es nur unter Umständen so.

Aber ....

Es gibt einen Teil von mir - nur noch ganz klein -, der nicht vergessen kann, was war.
Vor einem Jahr oder so.

Nein, wie in meiner Kindheit, denn sie war nicht perfekt.

Wenn ihr euch für meine Geschichte interessiert, dann könnt ihr weiterlesen.
Aber ich warne vor: Ich lasse kein unwichtiges Detail aus.

Meine Eltern sind beide Immigranten aus Polen, meine Mum hat mich hier zur Welt gebracht.
Ich habe früher in einem kleinen Dorf in einem etwas altem Haus nahe am Wald gelebt.
Gut, es war nicht perfekt, dieses Haus. Es hätte größer, schöner, jünger sein können - aber ich habe es trotzdem geliebt.

Was ich nicht geliebt habe und immer noch nicht so ganz liebe, ist mein Vater. Tata, wie es so schön in meiner Muttersprache heißt.
Er war nie ein tata -  nein, ich kann sogar sagen, dass er ... ein widerlicher Mistkerl war.
Nicht von der schlimmsten Sorte.
Er hat meine Mama nicht geschlagen, er hat mich nie geschlagen.
Aber er war krank.
Und das ist der Grund, warum ich nie in die Versuchung geraten werde, auch nur einen Schluck Alkohol zu trinken.
Er war Alkoholiker der schlimmsten Sorte, und es wurde im Laufe meines Lebens nicht besser.
Als ich ein Baby war, so sagt Mama, hat er geschrieen, dass sie endlich mich, das quäkende, schreiende Baby, zum Einschlafen bewegen soll.
Ich war schon damals ein Dickkopf.
Ich kann mich nicht mal daran erinnern, je mit meinem Vater wirklich gesprochen zu haben. Nein, er schlief entweder besoffen vor sich hin oder schaute sich etwas im Fernsehen an.
Oder aber warf meiner Mutter Dinge vor, solche Dinge, die unter aller Würde waren.
Er war für mich nie tata. Er war ein Fremder, der bei uns wohnte.
Vor allem diese Wochenendtage, wo er so betrunken war, dass er beinahe in der Badewanne ertrunken wäre. Dass er die Vase umgeworfen, sich daran geschnitten hat und danach schreiend durchs Haus gerannt ist, das Blut an unseren Wänden abwischend. Dass er geweint und gebrüllt hat, irgendwelche Stimmen, die nur er hören konnte.
Ich war damals nicht älter als 10, Leute.
Ich habe Blut an Wänden gesehen, einen Mann, der der Teufel persönlich ist, wenn er getrunken hat.
Und irgendwann soff er so viel, dass er seinen Job verlor.
Weil er andauernd zu unserem Hausarzt gegangen ist und sich Entschuldigungen hat schreiben lassen, weil er einen Kater hatte.
Es funktionierte vielleicht zwei Monate so, aber als ich mal von der Schule nach Hause kam und ihn schnarchend vorfand, rief ich meine Mama an und erklärte ihr, was ich gesehen habe.
Schließlich rief sie bei ihm in der Arbeit an und erklärte seinem Freund Sergej, was geschehen ist. 
Denn mein fremder Vater war so dämlich, zu sagen, seine Schwester wäre gestorben und er wäre zu traurig, um zur Arbeit zu gehen.
Jetzt kann ich sogar darüber lachen, aber da konnte ich das nicht.
Weil er seine gottverdammte Arbeit verlor.
Ich erinnere mich jetzt noch an Sergejs Worte, als er aus dem Haus ging und mein Vater einfach nicht reagierte:
,,Hör zu, Kumpel. Du hast eine wunderbare Frau, die alles für dich tut. Du hast eine bildhübsche Tochter, der du nicht mal einen Funken Aufmerksamkeit schenkst. Du hast ein Leben, und daraus kannst du auch etwas machen. Aber so, indem du dich zu Tode saufst - so wird das nicht funktionieren.''

Und dann ist er gegangen. 


Aber als ob das nicht schon genug wäre, habe ich in dieser Zeit auch sehr viel Streit mit meinen Freunden gehabt. 
Mein bester Freund wollte nichts mehr mit mir zu tun haben, weil ich ihm den Laufpass gegeben habe.
Er war in mich verliebt, und ich habe es nicht bemerkt. Ich habe angenommen, er mag mich einfach - und das ist nicht oft vorgekommen. Ich habe ihn geliebt, aber nicht so. Sondern weil wir Freunde waren.
Meine Klassenkameradinnen haben angefangen, sich für Kleidung, Schönheit und Schminke zu interessieren, und weil ich damals bei solchen Gedanken das kalte Grausen bekam, wurde ich von der Mädchengesellschaft ausgeschlossen.
Sogar meine älteste Freundin.
Sogar sie hat mich da alleine gelassen.
Die Jungs ließen mich nur teilweise an sich ran. 
Von da an begann dieser Außenseiter-Status bei mir.
Klar, die Klassenfahrt am Ende der vierten Klasse hat die Wogen irgendwie geglättet, aber jetzt, vier bis fünf Jahre danach, bedeutet das gar nichts mehr.

Die nächsten Jahre sind eigentlich unwichtig für diese Geschichte.
Die wichtigsten Basics:
Ich und meine Mama haben meinen Vater verlassen und sind in eine neue Wohnung gezogen.
Ich gehe aufs Gymnasium, und war dort größtenteils allein, denn meine Freunde gingen auf die Realschule.
Es war alles so verwirrend und viel zu groß für mich. Ich habe mich gefühlt wie in einem Vakuum, als ob ich ertrinken würde, erdrückt von all diesem Mist.
Ich konnte mich über Wasser halten, eine Zeit lang.
Ich war halbwegs normal.





Aber dann musste es passieren.
Der beste Freund, den ich erwähnt habe?
Ich habe mich wieder mit ihm vertragen, aber auf einmal habe ich bemerkt, dass da irgendwas in mir war, was mehr wollte als Freundschaft.
Ich wollte ihn.
Und mir wurde von vielen Quellen berichtet, dass er mich auch wollte.
Ich habe viel für ihn getan.
Essen, Trinken beschaffen.
Überall ein gutes Wort für ihn einlegen.
Sogar meine beste Freundin habe ich vernachlässigt.
Ich habe mir Mühe gemacht, hübsch auszusehen, wunderschön, ich habe mein Lächeln vor dem Spiegel geübt.
Und ich habe angefangen, für ihn abzunehmen.
Vor ein paar Jahren war ich nämlich ein wenig pummelig, weswegen ich auch nie auf Fotos drauf sein wollte.
Aber obwohl ich sowieso ausgeschlankt war, wollte ich noch mehr abnehmen.
Frühstück, Snack, Mittagessen, Snack.
Das war mein Plan für die nächsten 6 Monate.
7 Kilo flott weg.
Und dann, als wir im Sommer zu meiner Familie - und somit auch zu ihm, denn er wohnte nebenan -, da habe ich bemerkt, dass er mich nicht mal mehr ansah.
Er sagte nicht ,,Hallo'', wenn wir einander vorbeigingen.
Er wendete den Kopf ab, wenn er mich sah.
Wenn seine Freunde ihn darauf aufmerksam machten, dass ich in der Nähe war, zuckte er nur die Achseln.
Schließlich, an einem Tag, an dem ich eigentlich nicht glücklicher hätte sein können, sah ich ihn.
Alleine.
Und als ich mit ihm versuchte zu reden, sagte er mir ... Schreckliche Sachen.
Ich kann mich ehrlich gesagt nicht daran erinnern. Ich habe dieses Gespräch verdrängt. Ich war zu tief drin in meiner Zombie-Phase.
Ich weiß nur, dass die Allgemein-Message war:

Du interessierst mich einen Dreck. Du bist zu nichts zu gebrauchen. Ich will dich nicht mehr kennen, dich nicht mal mehr ansehen müssen.
Mir wird schlecht, wenn ich dich nur sehe, Missgeburt.

Eine Stunde habe ich mich auf dem Dachboden versteckt und geheult.
Mein bester Freund.
Meine erste Liebe.
Weg.


Und dann habe ich angefangen, zu hungern.
Keine 7 Kilo mehr weg, sondern 9, 10, 11 Kilo.

Ein Apfel am Tag.

Ein halber Apfel.

Halber Liter Wasser.

Viertelliter Wasser.

Ein Löffel zuckerlosen Tee.



Eine Woche gar nichts.

Eineinhalb Wochen.

51 Kilo bei einer Größe von 1,66 ist nicht zu wenig, ich weiß.
Aber ich sah spindeldürr aus. Meine Beckenknochen waren so sichtbar, mein Gesicht so fahl, meine Haare wurden immer glanzloser und fielen mir aus.

Ganze vier Monate lang habe ich meine Tage nicht bekommen.

Ich war ein seelisches Wrack.
Ich habe mich nicht mal mehr getraut, Schlafen zu gehen, weil ich keine Kalorien verbrauchen konnte.
Wenn ich denn was essen musste, steckte ich mir den Finger in den Hals.
Mein Magen war nicht größer als die Maus, die gerade neben euch liegt.


Und ich bin da gerade mal vor zwei Monaten erst raus gekommen.
Seit zwei Monaten sehne ich mich nicht mehr danach, so dünn zu sein wie Kaya Scodelario, mein absolutes Idol, was Schönheit betrifft.
Ich habe mich so angezogen, so geredet, so geschminkt wie ihre Rolle Effy.
Ich wollte so sein wie Effy, weil sie die absolute Perfektion für mich war.

Ich war so naiv.


Aber jetzt, nach einer Therapie, nachdem ich es meiner Mutter, meinen Freunden erzählt habe, geht es mir um so vieles besser.
Ich kann jetzt sagen: Ich bin nicht perfekt und zugegeben nicht gerade stolz drauf - aber lieber so, als krank zu sein.

Ich weiß allerdings immer noch nicht, ob diese Magersucht nur wegen diesem Ex-Freund, oder aber auch wegen diesem Mobbing, meinem Vater, der kein Vater ist, gewesen war.

Ob ich jetzt glücklich bin?



Ich fühle mich ganz gut.
Und wenn ich in Polen bin
bei meinen Freunden bin

Ja, dann bin ich glücklich.


Und hier .... hier bin ich auch nicht mehr unglücklich.
Ich kann damit leben, ohne zu hungern oder zu kotzen.

Das ist im Gegensatz zu dem Stand vor einem Jahr ein gewaltiger Fortschritt.


Was dich nicht umbringt, macht dich stärker.

So ist es.
So soll es sein, so soll es bleiben.

Denn jetzt bin ich frei von ihm - er ist mir jetzt egal-, frei von Menschen, die mir wehtun, und frei vor der falschen Freundin Magersucht.



Ich bin frei,
weil ich stark genug war, auszubrechen.


Meine Geschichte.

CU
Sana

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