Sonntag, 22. Februar 2015

♥pack dein Herz mit ein♥

Es ist eine Sache, wenn man an Traditionen festhält, weil man diese tatsächlich gerne hat und dazu steht.
Eine andere ist es, wenn man sich an Traditionen klammert, weil sie das einzige sind, was man je gekannt hat.


Nicht nur wegen dem immer schlechteren Bild von Muslimen, das unter anderem der IS und dem Anschlag auf die Redaktion der französischen Satire-Zeitung Charlie Hebdo zu verdanken ist, wandern meine Gedanken immer öfter zu der Frage, wie Integration auszusehen hat. Denn Muslime, die französische Staatsbürger sind und folglich gut integriert in die Gesellschaft sein müssten, hätten niemals Leute, die an dieser Zeitung arbeiteten, erschossen, hätten sie verstanden, dass diese Zeitung bloß alles etwas auf die Schippe nimmt. Satire will nicht beleidigen, sondern kritisieren. Doch wie kann es ein, dass man mit dieser Kritik nicht umzugehen weiß? Auch, wenn es sich nicht um Religion handeln würde, ein sowieso schon sehr heikles Thema, bei jeder anderen Kritik wären radikale Splittergruppen aufgesprungen und sich auf den Weg gemacht zu protestieren. Das beste Beispiel für Deutschland wäre wohl die schon jetzt etwas verschollene Gruppierung PEGIDA, die ihre Argumente auf wilden Thesen stützen und sich wohl nur bei einem Thema einig sind: Ausländer raus!


Verstehen kann man diese Einstellung bei älteren Menschen, die eventuell noch wegen der Weltkriege eine gewisse Intoleranz gegenüber Ausländern verspüren. Auch Wähler der AfD und Hooligans überraschen einen nicht damit, dass sie bei Demonstrationen von PEGIDA mitmischen. Jedoch ist es schockierend, dass man dort teilweise auch junge Menschen wiederfindet und auch eine der Anführerinnen, Kathrin Oertel, nicht unbedingt diesen Gruppen zugeordnet werden müssten. Dennoch zeigen sie alle rechte Tendenzen, die sie hinter angeblich logischen Argumenten für eine Veränderung der Asylpolitik verbergen. Doch auf Fragen wie, warum dieser Verein eine Islamisierung des Abendlandes befürchten, wenn ein sehr geringer Prozentsatz der Bevölkerung Deutschland aus Muslimen besteht, mit ,,Deutschland ist ja auch gegen die Abholzung des Regenwaldes, obwohl es keinen Regenwald in Deutschland gibt'' zu antworten, zeigt nochmals die Unglaubwürdigkeit und den schlichten Ausländerhass dieser Menschen.

Damit in die Hände spielen tun sie sich auf jeden Fall nicht. Denn wie soll man ausländische Menschen, die eventuell sowieso bereits Schwierigkeiten besitzen, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, zu einem deutschen Staatsbürger machen, wenn man so unwillkommen ist? Natürlich ist mir bewusst, dass PEGIDA, genauso wie die beiden Männer, die den Anschlag verübt haben, nicht die Mehrheit vertreten - aber so kommt es in den Medien eben rüber.

Mit einer solchen vorurteilbehafteten Intoleranz wird einem der Beginn eines neuen Lebens also erschwert. Soll das den Ausländer vielleicht dazu bringen, seine alte Kultur abzulegen und sich in die neue einzugliedern? Bis zu welchem Grad kann man das überhaupt? Möchte man das, was einen früher mal ausgemacht hat, aufgeben, um sich anpassen zu können? Ab welchem Punkt ist man ein gut integrierter Ausländer, ab welchem Punkt kann man von schlechter Integration reden?

Ich will niemandem etwas vormachen. Ich, die ich zwar hier in Deutschland geboren, jedoch polnischer Abstammung bin und diese Sprache auch einigermaßen beherrsche, freue mich, wenn ich das rollende R und den etwas harschen Tonfall eines Polen, der Deutsch spricht, bemerke. Es ist als teile man ein Geheimnis miteinander, das niemand sonst verstehen und in das sich niemand hineindrängen kann. In meiner Praktikumszeit im Krankenhaus habe ich eine etwas ältere polnische Krankenschwester angetroffen, die mir freundlich unter die Arme gegriffen hat. Ebenfalls während meiner Zeit dort habe ich einem polnischen jungen Mann Essen gebracht und auf sein deutsches 'Danke' mit einem polnischen 'Bitteschön' geantwortet. Das Lächeln, das man daraufhin bekommt, ist meistens unbezahlbar und zeigt eine Verbundenheit, die in uns allen schlummert. Eventuell stellt es für einige eine Erleichterung da, etwas von seinem alten Zuhause in seinem neuen wiedergefunden zu haben, einen alten Teil seiner Selbst mit jemandem teilen zu können. Vielleicht ist es allerdings auch das Streben nach Gesellschaft, das in uns allen tief verankert ist. Kein Mensch möchte vereinsamen, sucht Nähe und etwas Vertrautes. Was wäre vertrauter, als einen Menschen anzutreffen, er aus derselben Kultur stammt, dieselben Probleme mit der neuen Kultur hat?

In diesen Fällen ist es nichts Schlechtes, wenn man seine eigene Sprache spricht oder dem Gegenüber irgendwie begreiflich zu machen versucht, dass man eine Gemeinsamkeit hat. Es kann eine schöne Überraschung sein, die einem das Gefühl des Alleinseins für einige Augenblicke entreißt.

Dann gibt es aber Menschen, die sich ihre Kultur vollständig erhalten und nur mit Menschen aus diesen Kreisen agieren. Meine Mutter ist schon jahrelang mit einigen Arbeitskolleginnen befreundet; die Minderheit dieser ist deutscher Abstammung. Und nur in den wenigsten Fällen spricht sie Deutsch mit ihnen.

Gut, das ist vielleicht ein Fall, den alle ausländischen Kinder kennen. So etwas bedeutet zwar, sich selbst Steine in den Weg zu legen - vor allem zu Beginn seiner Zeit in einem fremden Land, denn wie will man Kultur und Sprache kennenlernen und erlernen, wenn man diese nicht sucht? -, aber es hat nur Konsequenzen für einen selbst.

Ein extremerer Fall wiederum ist der Besuch bei einem Arzt gewesen, der mir eine Impfung injizieren sollte. Meine Mutter kannte diesen Mann und sagte mir bereits im Vorhinein, dass er Pole ist. Eine Warnung, wie sich später herausstellte, denn da ich keine polnischen medizinischen Begriffe kenne, sprach ich Deutsch. Und dieser Nadelstich, den dieser mürrische ältere Herr mir verpasst hat, war so schmerzhaft gewesen, dass ich noch Tage nach der Injektion Schmerzen im Oberarm hatte. Da die Impfung drei Mal verabreicht werden muss, bin ich vor einigen Monaten wieder dorthin gegangen. Diesmal sprach ich Polnisch, und sofort wurden die zusammengezogenen Brauen und der desinteressierte Blick von einem breiten Lächeln und freundlichen braunen Augen abgelöst. Auch die Injektion war kaum schmerzhaft, und der liebe Mann wünschte mir sogar noch frohe Weihnachten.

Noch nie in meinem Leben bin ich auf einen Arzt so wütend gewesen.

Was für eine Abneigung muss man gegenüber seinem neuen Heimatland verspüren, wenn man einen Menschen nur aufgrund der Sprache, die er spricht, unterschiedlich behandelt?
Dieser Vorfall hat mich nachdenklich werden lassen und meine Sicht auf Kultur verändert.
Ich muss gestehen, dass ich selbst noch bis vor kurzer Zeit eine große Verbundenheit zu dem Heimatland meiner Eltern spürte. Ständig wollte ich dort sein, nur dort fühlte ich mich geliebt und lebendig. Ich hätte die trägen Tage auf dem Land dort ewig verbringen und genießen können. Nicht nur wegen spöttischen Lächeln, bösen Worten, die hinter meinem Rücken über mich erzählt wurden, sondern auch wegen Menschen, die mich immer in Deutschland hatten sitzen lassen, verachtete ich dieses Land - trotz meiner Liebe zu der Sprache. Ich verschloss Tür und Tor für jegliche Integration und Interaktion mit deutschen Mitschülern oder Lehrern. Ich erinnere mich daran, dass ich die Aufklebesticker meiner Hefte, auf die man Name, Fach und Kurs notiert, meistens mit der polnischen Übersetzung dieser Worte beschrieben habe. Auch Hausaufgaben schrieb ich mir in dieser Sprache auf, und jeden Tag malte ich mir kritzelige Zahlen auf den Handrücken, die einen Countdown zu der nächsten Reise nach Polen darstellten. Selbst mein Nachname, unter den ich mich bei Onlineplattformen angemeldet habe, war umgeändert, damit sofort klarwurde, welcher Nation ich entstammte. Ich war wie besessen davon zu vermeiden, als Deutsche gesehen zu werden. Es war eine Beleidigung für mich.

Und heute erinnere ich mich nur daran und frage mich, warum ich bloß so kaputt war und eine so gewaltige Angst vor Veränderung hatte. Ich sehe dieses kleine Mädchen vor mir, das sich selbst verleugnet hat, und schäme mich ein wenig dafür, auch wenn ich diesen Teil meines Lebens mittlerweile akzeptiert habe. Oder zumindest verarbeitet habe, dass es nicht gut ist, sich an seine Herkunft zu klammern. Natürlich ist sie ein Teil von dir, macht dich zu einem gewissen Grad aus, aber manchmal entwickelt man sich eben in eine andere Richtung, wächst aus der vertrauten Kultur heraus. Und ich habe es satt, mich zu einer Gefangenen zu machen, Angst davor zu haben, dass meine Familie, die so viel auf Tradition und Kultur gibt, mich nicht mehr akzeptiert. Nächtelang habe ich darüber geweint, wie viele Freundschaften und Beziehungen sich durch meine Entwicklung verschlechtert oder gar aufgelöst haben ... diese Menschen waren den Großteil meines Lebens das einzige, was ich hatte. Ich habe mich einen Dummkopf geschimpft, versucht, mich wieder erblinden zu lassen für all die Fehler und Widersprüche in meinem Verwandtenkreis, aber dazu bin ich zu stark. Die Augen zu verschließen, um einer schmerzenden Wahrheit zu entkommen, ist nicht stark. Das habe ich in meinem kurzen, aber ereignisreichem Leben gelernt. Und auch wenn ich noch immer diesen leichten Weg sehe, ich schrecke nahezu davor zurück, auch nur einen Schritt in Richtung dieses Pfades zu gehen.

Die Verdrängung des Problems ist keine Lösung. Es ist wie Alkohol, Drogen - es lässt einen kurz mal vergessen, aber letztlich wird man wieder zurückkatapultiert.

Doch meine Familie macht dies mit einer solchen Gewalt, dass es mir nicht mehr wehtut, so paradox dies auch klingen mag. Ich seufze nur im Stillen und empfinde sogar Mitleid mit ihnen. Bestürzte Blicke, hilfloses Händeringen, ein lauter, aggressiver Ton. Wenn es zu plötzlich kommt, kann es einem noch immer Angst einjagen, aber mittlerweile werde ich ganz gut darin, diese Hilfeschreie nicht an mein Herz dringen zu lassen. Denn es sind letztlich Hilfeschreie - verzweifelte Ausrufe, weil man nun mit einem Typ Mensch zu tun hat, der nicht mit dem Strom schwimmt. Einem Menschen, der mit Menschen jeder Herkunft agieren kann. Einem Menschen, der andere, ja weltfremde Kulturen fasziniert, nicht verängstigt betrachten kann. Einem Menschen, der offen ist und genügend im Leben hat, als dass er Neues probieren kann.

Mein Umfeld verletzt diese Einstellung. Man spricht seltener mit mir, der Umgang wird geschäftiger; nur manchmal kann man noch fühlen, dass ich eine doch enge Beziehung zu meiner Mutter habe. In letzter Zeit kommt diese auch etwas häufiger zum Ausdruck, aber nur, wenn sie gut drauf ist. An anderen Tagen jedoch sehe ich jedes Mal aufs Neue Entsetzen in ihren Augen; ich würde sogar sagen, dass sie Angst um meine geistige Gesundheit hat, obwohl es dieser so gut geht wie nie zuvor.

Man versucht, mich von der Außenwelt abzuschirmen. Geht selten mit mir aus, lässt mich niemals Einkäufe machen, ohne es mir vorher ausdrücklich zu erlauben, lässt mich kein Essen auf dem Herd zubereiten, meint meine Entscheidungen treffen zu müssen. Und immer weist man mich darauf hin, dass ich doch bitte Polnisch sprechen soll. Gut, ich gebe es zu, meine Kenntnisse dieser Sprache sind nicht die besten, und ich muss im Vergleich mit dem Vokabular meiner polnischen Altersgenossen wohl zurückgeblieben wirken (überspitzt gesagt), aber was kann man denn dafür, wenn man täglich mit deutschen Nachrichten, deutschen Kommentaren, deutschen Lektüren, deutschen Menschen konfrontiert wird? Zwangsläufig denkt man nunmal in dieser Sprache und ist es auch gewohnt, diese zu sprechen. Dies ist keine Sünde, vor allem da ich zwar einige polnische Traditionen zwar schön finde, jedoch nicht alle. Somit gibt es keine vollkommene Verbindung zu diesem Land, aber dies ist für mich genauso wie das Thema Religion - wenn ich nicht kritisch hinterfragen kann, sondern alles klaglos über mich ergehen lassen muss, wo bleibt da mein Verstand ab? Wo die Offenheit? Wo die Lust auf Abenteuer und Veränderung?

Heute war der Geburtstag meines Vaters. Die einzigen Gäste, die wir hatten, waren seine Eltern. Und normalerweise spreche ich mit diesen auch Polnisch, jedoch habe ich heute mal einen deutschen Satz zu meiner etwas verdutzten Oma gesagt. Und schwupps werde ich dazu angeherrscht, doch bitte Polnisch zu sprechen. Was ich jedoch nicht tat, denn warum soll ich mich bevormunden lassen, mir vorschreiben lassen, welche Sprache ich sprechen soll?

Warum sollte ich mir vorschreiben lassen, wie sehr ich mich in die Gesellschaft integriere?

Was um alles in der Welt ist schlimm daran, wenn man eine neue Kultur und ein neues Land in sein Herz lässt?

Denn ich möchte eine brauchbare Zukunft haben. Ich möchte ein aufmerksamer und denkender Bürger sein, der sich für sein Land interessiert - und welches dieses Land nun ist, beschreibt weder der Pass noch die Geburtsurkunde noch die Abstammung eines Menschen.

Das eigene Land ist das, in dem man sich am wohlsten fühlt und frei entfalten kann.

Dies soll nicht heißen, dass der deutsche Staat keine Makel hat. Es gibt politische Entscheidungen, die einfach nicht richtig sind, es gibt Vergehen, die zu mild oder zu hart bestraft werden, es gibt Probleme mit dem Aufsteigen in den Klassen. Dies soll kein Preisen Deutschlands sein. Aber zu einem Preisen Polens bin ich auch nicht bereit.

Ich bin weder eine Deutsche, noch bin ich eine Polin.
Ich bin einfach ich und entscheide, wo es wert ist, mich zu integrieren.
Und dies meine ich nicht von der finanziellen Seite, die bestimmt der Grund des oben erwähntes Arztes war, eine Praxis auf einem deutschen Gebiet, nicht auf einem polnischen aufzumachen. Ich meine auch nicht von der Seite aus, dass man ein verzweifelter Flüchtling ist, der händeringend nach einem Licht im Tunnel sucht.

Wenn man das Herz nicht mit in den Koffer gepackt hat, dann kann man ebenso gut in dem Land bleiben, aus dem man hergekommen ist.

Denn wozu einen Neuanfang wagen, wenn man eine solche Furcht davor hat, neuen Platz neben Altem zu schaffen?







CU
Sana

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