Grundwissen:
♥Titel♥: Der Prozess
♥Autor/-in♥: Franz Kafka
♥Erschienen♥: 2001 im Schöningh-Verlag; original 1925
♥Seitenanzahl♥: 223 Seiten (ohne Anhang)
♥Preis♥: 6, 95 € (Taschenbuch; Schöningh)
♥Genre♥: Adult; Klassiker; Drama; Mindfuck
Inhalt:
,,Das Gericht will nichts von dir. Es nimmt dich auf, wenn du kommst, und es entlässt dich, wenn du gehst.'' - Gefängniskaplan (S. 217)
An seinem dreißigsten Geburtstag wird Josef K. von einer unbekannten Instanz verhaftet. Warum und wer diese Leute sind, auf die er während seines Prozesses trifft und die einem ,,in der Bevölkerung nicht sehr bekannten'' Gericht angehören, erfährt er nicht. Doch was er weiß, ist, dass bei diesem Gericht etwas faul ist: Kanzleien befinden sich auf Dachböden alter Häuser in Slum-Gegenden, sämtliches Personal ist weder informativ noch ernstzunehmen, Verhöre und Untersuchungen finden in Zimmer gewöhnlicher Zivilbevölkerung statt und niemand scheint K. in seiner aussichtslosen Lage helfen zu wollen, geschweige denn zu können.
Angeblich soll dieses Gericht von der Schuld angezogen werden - doch wenn K. sich nicht einmal eines Vergehens bewusst ist, wie kann es das Gericht sein?
Meine Meinung ...
zum Cover:
Deutsches Cover Nr. 2: ♥♥♥♥ |
Deutsches Cover Nr. 1: ♥♥ |
Zugegebenermaßen überrascht es mich, dass die nicht-deutschen Cover besser gelungen sind als die deutschen. Das Motiv des ersten deutschen Covers kann ich noch nicht mal wirklich deuten, zumal ich nicht die geringste Ahnung habe, warum die Türen im Hintergrund so angeordnet sind und welche Szene überhaupt dargestellt sein soll. Josef mit zwei mysteriösen Gestalten im Hintergrund und schwebenden Türen? Das zweite Cover gefällt mir schon eher, da es eine sehr wichtige Szene im Buch darstellt und meiner Meinung nach die Entwicklung K.s sehr gut darstellt.
Amerikanisches Cover Nr. 1:♥♥♥♥ |
Amerikanisches Cover Nr. 2: ♥♥♥♥ |
Die beiden amerikanischen Cover hingegen finde ich von den gewählten Motiven sehr viel schöner. Selbst wenn das erste äußert eigenartig aussieht, wegen all den Irrungen, Wirrungen und Verwirrungen in diesem Roman passt es einfach unheimlich. Die zweite Aufmachung ist zwar schlichter, besitzt allerdings eine enorme Aussagekraft: Abgesehen von der Methode, das Motiv als Spinnennetz zu interpretieren, kann man es auch als einen sich immer mehr verengenden Gang sehen, den man nicht mehr erreichen kann. Und genau dies ist wohl das, was das Buch in Augen vieler Leser so beliebt macht: man kann die Geschichte interpretieren, wie man will, man wird sie niemals vollkommen verstehen.
Doch kann man so auch die Geschichte genießen, die Kafka niedergeschrieben und nie vollendet hat?
zum Buch:
Die Antwort auf diese Frage ist von meiner Seite aus weder ein klares Nein noch ein klares Ja. Ich bin kein Mensch, der Klassiker verachtet, ganz im Gegenteil, viele finde ich mindestens durchschnittlich oder in Ordnung, eine sogar sehr wertvoll und einprägsam. Kafka, der, wie man weiß, nicht gerade dem entsprach, was man als ,,psychisch stabil'' bezeichnet, hat es mir jedoch sehr schwer gemacht, sein Buch gerne zu lesen und nicht nach einem Kapitel für mindestens einen Tag abzubrechen.
Das liegt zum einen an der Atmosphäre dieses Buches. Kafkas Art zu schreiben hat für sich nichts sonderlich Beunruhigendes, er schreibt betont distanziert und bemüht sich um möglichst neutrale Darstellungsweisen der Charaktere in seinem Roman. Aus dem Grund lernt man alle mit Ausnahme von Josef K. sehr oberflächlich kennen, was für diese Geschichte jedoch auch keine Bewandtnis hat, weil sie sowieso allesamt austauschbare Statisten in Ks Prozess sind. Sie sind alle Teil davon, egal wie unscheinbar ihre Rolle auch sein mag, und sie sind allesamt ziemlich verworren und grob skizziert, scheinen aus Widersprüchen zu bestehen. Und genau dies ist der Punkt, der es so schwer macht, dieses Buch in einem Rutsch durchzulesen: Personen handeln wider ihren moralischen Einstellungen und Verpflichtungen, scheinen urplötzlich wie ausgewechselt zu sein, sodass man das Gefühl hat, absolut niemanden einschätzen zu können. Auch erscheint das Buch einem nicht wie ein Ganzes, denn abgesehen vom Anfang und vom Ende hätte man nahezu alle Kapitel des Buches miteinander vertauschen können, da es nahezu nie einen Bezug zu vorherigen Ereignissen gibt. Ob man diese tatsächlich Kapitel nennen kann, ist sogar fragwürdig, denn wegen den unzusammenhängenden Inhalten und wenigen Veränderungen könnte man diese eher für Fragmente halten, auch wenn ich nach einiger Recherche feststellen musste, dass nur zwei der als Fragmente bezeichneten Schriftstücke zu Dem Prozess in meiner Ausgabe zu finden waren. Dennoch, es gibt sowohl in Handlung noch im Prozess nennenswerte Entwicklungen, alles steht still und das Ende kommt dementsprechend auch einigermaßen plötzlich. Bis dahin begleitet man Menschen, die unlogisch handeln und allesamt wahnsinnig merkwürdig sind, und erforscht ein Gericht, das aufgrund der Undurchsichtigkeit und der schier endlosen Hierarchie wohl entweder ein Vorgeschmack auf die Strukturen der Instanzen von Nationalsozialisten oder aber ein Institut von Gott persönlich sein muss. Ein Gericht, das arm ist und kaum ausgebildete Fachkräfte besitzt, dessen Struktur niemand zu kennen scheint und das so viele kleine Eigenartigkeiten und Eigenarten aufweist, dass man bei dem Versuch, dies alles zusammenzufassen, den Verstand verlieren würde.
Und dies ist genau das, was dieses Werk von Kafka zu einer so schwierigen Lektüre macht: Der Kopf des Lesers, der an Logik und eine gewisse Normalität gewöhnt ist, stutzt bei jeder Handlung und jeder weiteren Information, hat Schwierigkeiten, dies zu verarbeiten und nachzuvollziehen, bekommt jedoch von Kafka keinerlei Pausen. Es ist nahezu so, als würde man träumen: an und für sich besitzen die Bilder und Ausdrücke keine wirkliche Aussage oder einen Sinn, es erscheint alles sehr diffus und beim Aufwachen fragt man sich, was mit einem nicht in Ordnung ist. Denkt man jedoch eher darüber nach und sucht Antworten auf die Bedeutungen einzelner Gegenstände des Traums, so angelt man sich an Stichpunkten entlang zu einer eigenen und für sich logischen Interpretation, die jedoch nicht richtig sein muss. Und genau dies ist das Problem: Es kommen so unglaublich viele Fragen während des Lesens auf und keine von ihnen wird beantwortet, man ist ebenso im Dunkeln wie K. und die Angestellten dieses mysteriösen Gerichts. Teilweise kann man wirklich Kopf- und auch Bauchschmerzen davon bekommen. Diese Momente sind auch einige der wenigen, in denen man sich dem Hauptcharakter, der psychisch und physisch unter dem Prozess leidet, in irgendeiner Weise nahefühlt.
Denn ebenso undurchsichtig das Gericht ist, so sehr fehlt die Transparenz und das Verständnis auch gegenüber K. Ein Prokurist, der wohl angesichts seiner vielen Eroberungen in diesem Buch einen gewissen Charme besitzt, zielstrebig auf seine Karriere hinarbeitet und am liebsten über alles die Kontrolle bewahrt. Gemäß dem, was ich in meinem Umfeld beobachten kann, könnten einige mit diesem Mann sympathisieren, zumal der Protagonist aus Shades Of Grey ähnliche Charakterzüge aufweist und ihn wohl sehr viele vergöttern, aber bei mir hinterlässt Josef K., ebenso wie Mr. Grey, keinen guten Eindruck. Bei jedem Menschen, dem er begegnet, verfolgt er zwielichtige und eigennützige Zwecke, sodass er ihn sich gefügig zu machen versucht, er terrorisiert Menschen sogar in gewissem Maße und belästigt sie (wie an dem Beispiel von Fräulein Bürstner), trägt die Nase verdammt hoch und meint, an jedem außer sich selbst herummäkeln zu müssen. Jemanden, der sich so schuldlos gibt und der so erfolgreich verdrängt, um sich selbst in einem positiven Licht sehen zu können, ist einfach erbärmlich und keinesfalls einnehmend. Es gibt etliche Situationen, in denen sich K. weder moralisch noch rechtlich richtig verhält, jedoch nie auch nur irgendeine Art von Reue zeigt. Natürlich wird er im Laufe des Prozesses eher in die Opferrolle gedrängt und man merkt zunehmend, wie er unter dem über ihm schwebenden Damokle-Schwert zu leiden hat, aber weil er selbst nur wenige Male Versuche unternimmt, den Prozess voranzutreiben oder sich zu verteidigen, ist er ein sehr passiver Protagonist, der sich konsequent weigert, über sich selbst hinauszuwachsen, selbst als sein oder das Leben anderer auf dem Spiel steht. Dementsprechend kann man wenig mit ihm sympathisieren und kann nur enttäuscht den Kopf schütteln, wenn er sich immer wieder als Feigling und rücksichtsloser Mistkerl erweist.
Ansonsten gibt es nur wenige Charaktere, die das Interesse zu wecken vermögen und die sich von anderen abheben. Einige treten sogar nur ein Mal in Erscheinung und unterstreichen somit die Bedeutungslosigkeit ihrer Person, andere hingegen besitzen eine größere Rolle, die aber eher unterschwellig bleibt. So hat K. beispielsweise eine Art Obsession gegenüber Fräulein Bürstner entwickelt, da sie die einzige Frau zu sein scheint, die ihm widerstehen kann und ihre Unterstützung für diesen eifersüchtigen und aufdringlichen Herren verweigert. Einige Szenen, die dies mehr belegen, hätten diesem Roman an sich nicht geschadet. Abgesehen davon wäre ein etwas größerer Einblick in die Prozesse anderer Angeklagter sicherlich nicht schlecht gewesen, zumal sie alle wie Schatten ihrer Selbst erscheinen und man doch erfahren möchte, was dieser Prozess ihnen antut. Eventuell wären diese Personen auch bessere Menschen gewesen als K., auch wenn sie bestimmt ebenso wie alles andere in diesem Buch vor Widersprüchen gestrotzt hätte. Seit wann ist dies, nebenbei angemerkt, ein Stilmittel? Zur Verschönerung der Geschichte hat es nicht wirklich beigetragen, eher zu Kopfschmerzen und hilflosen Ausrufen des Lesers.
Somit wäre man auch an der letztendlichen Frage angelangt: Worum genau geht es in diesem Roman? Sollte es eine Zukunftsvision auf die NS-Zeit sein, die Kafka zur Nachkriegszeit entwickelt hatte? Soll es heutige wie auch damalige Bürokratie und die Sinnlosigkeit einiger Gesetze, Verfahren und Vornehmlichkeiten kritisieren, zumal Kafka selbst in einem Büro arbeitete? Ist diese Geschichte die Verdeutlichung der Unbegreiflichkeit des Lebens und des ganzen Seins?
Keine dieser Fragen lässt sich eindeutig beantworten. Ich für meinen Teil bin der Ansicht, dass Kafka einen inneren Prozess seiner Selbst in diesem Roman entfalten wollte und aus diesem Grund alles wie ein seltsames Paralleluniversum erscheinen lässt. Fühlte er sich denn nicht ,,wie ein Verbrecher'', weil er die Beziehung zu seiner erstmaligen Geliebten Felice Bauer ausbauen wollte, dies allerdings wegen des Gefühls der Schuld abbrach, und zwar viele Male? Vielleicht hat Kafka damit auch angestrebt zu zeigen, dass man sich selbst niemals wird zur Vollkommenheit ergründen können und ein gewisser Teil bzw. die höchsten Instanzen und Geheimnisse immer verborgen bleiben werden. Das Gericht im Prozess fühlt sich von Schuld angezogen, auch von Schuld, die einem selbst nicht bewusst ist. Bei Josefs Persönlichkeit kann ich mir vorstellen, dass dieser etwas auf dem Gewissen haben muss, um diesen Prozess einleiten zu können und sich am Ende des Prozesses vielleicht als neue Person ins Leben eingliedern kann. Doch in seinem Fall scheitert die Persönlichkeit daran - ebenso, wie Kafka daran gescheitert ist, sich selbst zu verstehen.
Dieses Uneindeutige an dem Roman kann einem einerseits den letzten Nerv rauben, andererseits auch genau das sein, was einem nach Beenden des Buches nicht loslässt. Es gibt auch Szenen, die durchaus die Abgründe der Menschheit sehr schön vorführen und den Leser auch selbst über sein Verhalten nachdenken lassen. Sie können einen berühren, egal ob sie nun abschreckend oder fesselnd wirken, sodass man sich letztlich auch selbst die Frage stellen kann, wie der eigene innere Prozess aussehen könnte oder ob man sich nicht doch irgendwo so verschuldet hat, dass es einen nicht mehr loslässt und die Lust zum Leben und Handeln ebenso hinaussaugt wie bei K. Insofern kann man auch sehr gut sich selbst reflektieren und wird teilweise doch zum Nachdenken angeregt, nicht nur bezüglich der Interpretation diverser Szenen.
Alles in allem ist Der Prozess ein Roman, der den Leser mental aus der Fassung bringen kann: ständig wird man vor den Kopf gestoßen, dreht und wendet jeden Satz, um Erkenntnis über die Intention des Autors zu gelangen, während man selbst auf sein Leben zurückblickt und sich fragt, ob einiges, was K. tut, nicht vielleicht auch etwas wäre, was man selbst tun würde, so unsympathisch und tyrannisch sein Charakter auch ist. Dank fehlender Sympathieträger und auch einer nicht vorhandenen Klimax streckt sich der Roman jedoch sehr und es fällt durch die Komplexität des Ganzen sehr schwer, noch alles aufmerksam mitzuverfolgen. Für Psychoanalytiker bestimmt ein guter Roman, doch für diejenigen, die sich mehr als Philosophie und Stagnation erhoffen, wird wohl wenig Brauchbares dabei sein. Ein Buch, das man nicht vom Fleck weg bewerten kann, das aber definitiv - ob nun im positiven oder negativen Sinne - besonders ist.
Ich gebe dem Buch:
♥♥♥ Herzchen
Extra:
Wer neugierig geworden ist, kann sich auch das Let's Read dieses Buches mal reinziehen:
CU
Sana
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