Dienstag, 27. Oktober 2015

:)Rezension:): Schlachthof 5

Grundwissen:


Titel: Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug (original: Slaughterhouse-Five; The Children's Crusade - A Duty-Dance with Death)
Autor/-in: Kurt Vonnegut
Erschienen: 01.02.2010 im rororo-Verlag; 19.08.2013 im Klett-Verlag; erstmals 1969
Seitenanzahl: 208 Seiten; 224 Seiten
Preis: 8, 99 € (Taschenbuch; rororo); 7, 99 € (Taschenbuch; Klett)
Genre: Historical Fiction (Anti-Kriegsroman); Science Fiction; Fantasy; Classics





Inhalt:


All moments, past, present, and future, always have existed, always will exist. - S. 30




Billy Pilgrim ist verrückt. Dieser Meinung sind alle, selbst seine Tochter, insbesondere nachdem er eines Nachts nach New York ausbüxt und dort im Radio bekanntgibt, dass er von Aliens entführt wurde und die Erfahrungen mit und Lektionen von den Tralfamadorianern mit der Welt teilen will. Doch während Billy von der Außenwelt abgeschirmt wird, erzählt er seine Geschichte dennoch, denn nicht nur wurde er als Forschungsobjekt der Aliens missbraucht, sondern ist auch seit seiner unfreiwilligen Teilnahme am Zweiten Weltkrieg dazu fähig, in der Zeit zu reisen und so wichtige Stationen seines Lebens preiszugeben. Voller Irrungen und Wirrungen durchlebt er die glücklichsten, aber auch schrecklichsten und von Krieg geprägten Situationen seines Lebens noch einmal. Auch die Bebombung Dresdens im Jahre 1945 ...






Meine Meinung ...




zum Cover:




Deutsches Cover: ♥♥♥
Amerikanisches Cover Nr. 1: ♥♥♥




















Schülerausgabe: ♥♥
Amerikanisches Cover Nr. 2: ♥♥




















Man kann mit den wenigsten Aufmachungen zu diesem Roman etwas anfangen. Die bildgewaltigste Ausgabe wäre noch die Deutsche, die eine sehr eindrucksvolle Aufnahme von Dresden zur Zeit des Zweiten Weltkriegs zeigt. Ansonsten sind die Motive relativ einfach gehalten und haben entweder keine wirkliche Aussage - zumindest ist mir nicht bewusst, was das V auf dem amerikanischen Cover zeigen soll - oder sind nicht sonderlich schön anzusehen, auch wenn die auf der Schülerausgabe aufgedruckte Statue durchaus symbollastig ist. Was jedoch bei allem Covern gut gelungen ist, ist die Wahl des Titels, da das Schlachthaus, in dem Billy untergebracht wird, eine zentrale Rolle in seinen Erinnerungen einnimmt und die Unmenschlichkeit zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges sehr gut zeigt. Auch der Alternativtitel (Der Kinderkreuzzug) ist wirklich passend, nicht nur, da Kurt Vonnegut als Erzähler des ersten Kapitels erklärt, dass es hauptsächlich unerfahrene, vielleicht sogar noch Minderjährige gewesen sind, die in diesem Krieg gekämpft haben und man dies keinesfalls heroisieren sollte. 
Insgesamt anscheinend wie die typische Schullektüre - doch ist das mehr Schein als Sein?





zum Buch:




Schullektüren haben die Tendenz, oftmals vollkommen verwirrend und für die meisten Leute im jungen Alter unlogisch oder schwer begreiflich zu sein. Schlachthaus 5 katapultiert dieses Verständnis von Schullektüren jedoch auf ein vollkommen neues Level, denn man braucht selbst dazu eine ganze Weile zu identifizieren, wer denn nun Protagonist und wer Erzähler ist. Denn während es im ersten Kapitel prinzipiell darum geht, dass Vonnegut dem Leser vermitteln möchte, welche Entwicklungssstufen und Komplikationen er durchlaufen musste, um einen Roman über den von ihm selbst miterlebten Zweiten Weltkrieg und seine davon getragenen Traumata zu schreiben, geht es nahezu das gesamte Buch über über Billy Pilgrim, tollpatschigen Soldaten, unscheinbaren Kerl und pilgernden (!) Zeitreisenden. Insofern ist das Buch sehr komplex aufgebaut, da es keinen wirklichen roten Faden gibt und es anfangs sehr schwer ist, den Überblick über das große Ganze bei all den Sprüngen in der Zeit zu behalten. Es kommt die Frage auf, warum Vonnegut ausgerechnet diese Elemente der Science Fiction, gekoppelt mit Fliegenden Untertassen, Aliens und Produkten, die heutzutage noch nicht mal existieren, mit der wohl schrecklichsten Periode der Menschheit zu verbinden. Etwa, weil in dieser Zeit Wissenschaft deutlich vorangetrieben wurde, gezeigt an neuer Luftwaffe, Atombomben und all den Experimenten, die insbesondere die Nationalsozialisten durchgeführt haben? Eine sehr lange Zeit grübelt man über den Sinn des Ganzen und versucht, sich in diesem Durcheinander zurechtzufinden. Denn Billy kann weder bestimmen, wann er zeitreist noch in welche Zeit seines bisherigen, momentanen oder zukünftigen Lebens er springt. Von daher besitzt man nicht das Gefühl, einer linearen Handlung zu folgen und fragt sich auch, was die zentralen Aspekte dieses Buches sein sollen, wenn dieses doch so zerstückelt und fetzenhaft ist.
Im Laufe des Lesens jedoch entwickelt man Theorien, welche Vision der Autor gehabt haben könnte, insbesondere, da er mit den Tralfamadorianern eine sehr interessante philosophische Ansicht in Bezug auf die Zeit in diese von Zeitreisen geprägte Geschichte bringt. Diese sind nämlich der Ansicht, dass Zeit relativ und unveränderbar ist, es gleichzeitig jedoch keinen Moment gibt, der jemals vergeht, da er in Vergangenheit, Zukunft oder Gegenwart existiert. Alles ist festgeschrieben und geschieht zur selben Zeit, sodass es sinnlos wäre, sein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen und ändern zu wollen. Stattdessen solle man all das Böse akzeptieren, da man es nicht ändern kann, und sich stattdessen auf die positiven Seiten des eigenen Lebens konzentrieren. Diese Sicht nimmt auch Billy nach und nach an, bekommt sogar eventuell eben durch diese Perspektive die Möglichkeit, in der Zeit zu springen. Bezieht man dies nun auf den Krieg, so kann man darin widergespiegelt sehen, dass dies genau die Art wäre, mit der man am ehesten so etwas Schreckliches wie den Krieg verarbeiten könnte. Vielleicht ist es sogar Billys Art, damit umzugehen, indem er sich in verschiedene Zeiten rettet, auch seine Kriegszeit durchlebt, und so lernt, dass man die Dinge so akzeptieren muss, wie sie sind. Ohne Beschönigung, ohne Verteufelung. Von daher wird das gesamte Konzept des Romans, das anfangs sehr konfus und abgedreht wird, einem etwas verständlicher, wenn man versucht zu verstehen, inwiefern die Begegnung Billys mit den Aliens ihn verändert hat, sei diese Begegnung denn nun tatsächlich Einbildung gewesen oder wirklich geschehen.
Dadurch, dass man Billys wichtigste Anhaltspunkte im Leben kennenlernt, bekommt man auch das Gefühl, ihn während des Lesens sehr gut zu kennen, auch wenn diverse Verhaltensweisen seinerseits eher suspekt sind. Ob man mit ihm sympathisieren oder sich gar mit ihm identifizieren kann, ist jedoch eher Geschmackssache, denn auf seine tölpelhafte Weise ist er in gewisser Weise jemand, den man in Schutz nehmen möchte und wirklich Glück wünscht, gleichzeitig jedoch benimmt er sich an einigen Stellen wie der letzte Volltrottel und auch nicht ganz nachvollziehbar. Entweder man hält ihn für einen Genius oder für einen Wahnsinnigen - so oder so ist er trotz seiner Unscheinbarkeit doch interessant, auch wenn es ein Rätsel bleibt, ob er dann tatsächlich einfach nur traumatisiert ist oder ob etwas an all seinen Geschichten dran ist. Zugleich sind auch die Nebencharaktere wirklich abwechslungsreich gestaltet und tragen auch wesentlich zur Unterhaltung des Lesers bei, weil ihre Geschichten so facettenreich sind und sie alle eine gewisse Keckheit besitzen, die Humor in gewisse Situationen bringt.
Denn wenn Vonnegut eines geschafft hat, dann ein sehr gutes Gleichgewicht zwischen Unterhaltsamkeit und Grausamkeit zu legen. Es gibt so viele Szenen, bei denen man wirklich lachen muss, obwohl sie in ihrem Kern vielleicht überhaupt nicht lustig sind, weil das Setting eben Kriegszeit ist, aber alleine durch diese Aggressivität und die große Klappe seiner Charaktere schafft es der Autor, selbst in lebensgefährliche Situationen Humor reinzubringen. Manch böse Zunge könnte jetzt behaupten, dass der Mann somit den Krieg belächelt und schlimme Gegebenheiten entschärft, jedoch stimmt dies angesichts der Themenauswahl und der Tragik nicht. Stattdessen dient dies dazu, die Denkart seiner Tralfamadorianer in die Geschichte zu integrieren, alleine durch den charakteristischen Satz So it goes., sobald jemand unter schrecklichen Umständen oder generell stirbt. Das kann einen auf Dauer wirklich amüsieren und nimmt all dieser Grausamkeit an einigen Stellen die Konturen, während in anderen Szenen wiederum die trostlose Atmosphäre wirklich einnehmend ist.
Dennoch ist unklar, was der Autor mit dieser Geschichte ausdrücken will, da so viele verschiedene Aspekte angesprochen und auch nur bruchstückhaft behandelt werden. Natürlich findet sich äußerst viel Kritik an der Kriegsführung wider und auch die damalige Beziehung zwischen Amerika und Deutschland wurde unverfälscht dargestellt, ebenso wie die zwischen Deutschland und England, allerdings ist die Frage nach der Umgangsart damit sehr offen geblieben, ebenso wie der Sinn und der Wahrheitsgehalt all dessen, was Billy durchlebt. Zwar wird am Ende angedeutet, woher er jene Vorstellungen von Tralfamadoria hat, jedoch bleibt dies einfach unklar und ist sehr verworren, ebenso wie der zeitliche Ablauf all jener Ereignisse, die Billy erlebt. Man braucht eine enorme Zeitspanne, um sich innerhalb der Geschichte einzufinden und eventuell das ganze Buch über, um sich wirklich wohlzufühlen und einschätzen zu können, was man von diesem Roman hält. Denn so kreativ dieses Konstrukt auch sein mag - der Autor muss schon ordentlich um die Ecke gedacht haben, um sich so etwas einfallen zu lassen und dabei selbst nicht den Überblick zu verlieren. Insofern ist die Frage: Will Kurt Vonnegut damit sagen, dass jeder Soldat den Verstand verliert, ähnlich wie Billy? Dass man den Krieg akzeptieren, vergessen und sich nun auf die glücklichen Zeiten konzentrieren soll? Dass zu der Zeit nicht nur Deutsche, sondern auch alle anderen Länder unmenschlich waren und es keine Gewinner in einem Krieg gibt? Und selbst wenn der Autor all dies mit seiner Geschichte zeigen wollte - war dazu ein so komplexes Gestell ohne eine erkenntliche Klimax oder Struktur notwendig? 




Insgesamt ein eher durchwachsendes Buch, das sich gegen den Krieg richtet, ohne dabei zu sehr auf die Tränendrüse zu drücken, sondern im Gegenteil durch seine Figuren Humor in die Sache zu bringen versucht. Zwar ist es auf seine eigene Art sehr unterhaltsam und durch die gesamte Idee sehr innovativ, jedoch braucht man ungeheuer viel Zeit, um etwas mit diesem Buch anfangen zu können und wenigstens ansatzweise zu verstehen, welche Intention hinter der sehr verdrehten und teilweise unglaublichen Biografie des fiktiven Charakters Billy Pilgrim steckt. Wenn man es denn überhaupt verstehen kann, denn abgesehen von einigen Schlüssen, die am Ende gezogen werden, abgesehen von einigen Aha-Effekten gibt es nur wenige Antworten auf all die Fragen, die sich im Kopf des Lesers sammeln. Definitiv besonders ... aber ob es auch gut ist?





Ich gebe dem Buch:


♥♥. Herzchen  (3.75)





Extra:



Sollte jemand Interesse an diesem besonderen Stück postmoderner Literatur haben, so kann er hier klicken, um sich den Trailer der Verfilmung von 1972 anzusehen.


CU
Sana

1 Kommentar:

  1. Hallo Sana,
    ich habe das Buch auch vor einiger Zeit gelesen und mir viel Zeit mit der Besprechung gelassen, weil ich auch jetzt, im Nachhinein, einfach nicht richtig schlau daraus werde. Einen Lektüreschlüssel oder ähnliches habe ich nicht, deshalb war ich auf der Suche nach erhellenden Besprechungen. Es beruhigt mich, zu lesen, dass du die Geschichte auch als schwer lesbar und insgesamt durchwachsen empfandst! Das Buch ist definitiv eines der ungewöhnlichsten, das ich in den letzten Jahren gelesen habe und vielleicht schaue ich mir bei Gelegenheit mal den Film an. Das Buch als Schullektüre ist allerdings schon eine ziemlich harte Nummer.

    Sobald der Beitrag erscheint, verlinke ich deine Besprechung, wenn du erlaubst.

    Viele Grüße
    Jana

    AntwortenLöschen