Samstag, 5. Mai 2018

:)Rezension:): Was ich euch nicht erzählte

Grundwissen:



Titel♥: Was ich euch nicht erzählte (original: Everything I Never Told You)
Autor/-in♥: Celeste Ng
Erschienen♥: Mai 2016 im dtv-Verlag (Hardcover); Oktober 2017 im dtv-Verlag (Taschenbuch)
Seitenanzahl♥: 280 Seiten
Preis♥: 19, 90 € (Hardcover); 10, 90 € (Taschenbuch); 4, 99 € (Kindle Edition) [Quelle: amazon.de]
Genre♥: (Familien-)Drama; Contemporary Drama; Coming of Age; Tabuthemen





Quelle: © Penguin Press Verlag
Quelle: ©  Deutscher Taschenbuch-Verlag























Inhalt:



Alle hatten versucht es zu vergessen. Sie redeten nicht darüber, erwähnten es nie. Aber es war immer da, wie ein schlechter Geruch. Es war so tief in sie eingedrungen, dass es nicht mehr zu entfernen war. - S. 123




In der Familie der Lees gibt es eine Person, die alles zusammenhält: Lydia. Die verantwortungsvolle Schwester, die glatte Einserschülerin, die beliebte Freundin. Das Kind, in das Marilyn und James die meisten Hoffnungen stecken. Ihre anderen beiden Kinder, Nathan und Hannah, spielen nur Nebenrollen in ihrem Leben. Doch am 1977 wird Lydia tot in einem See aufgefunden, einem Ort, dem sie sich niemals freiwillig genähert hätte. Anfangs wird von einem Mord ausgegangen. Allerdings wird es nach und nach wahrscheinlicher, dass Lydia mit der großen Zukunft sich das Leben genommen hat und ihre Sicht auf sich selbst eine ganz andere war ...






Meine Meinung ...






zum Buch:




Sechs Jahre hat Celeste Ng an ihrem Debüt geschrieben und viele persönliche Erfahrungen und Gedanken in ihre Geschichte einfließen lassen. Alleine ihr Leben als Mutter und als Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln verleihen Was ich euch nicht erzählte die Authentizität und die Ehrlichkeit, die dieses Werk zu etwas ganz Besonderem machen.
Die Geschichte lebt nämlich von der Dynamik der Familie Lee, die sich aus fünf unterschiedlichen Persönlichkeiten mit einer großen Gemeinsamkeit zusammensetzt: Probleme zu verschweigen und Konflikte auszuhalten. Denn was nach außen hin wie eine harmonische Gemeinschaft wirkt, hat unter der Oberfläche einige schmutzige Geheimnisse und nachtragende Gedanken, die von allen zugunsten des Zusammenhalts verdrängt werden. Das Aufarbeite dieser Defizite, die bis zu den Anfängen der Beziehung der Eltern zurückreichen,  wird durch Lydias Tod gezwungenermaßen langsam in Gang gesetzt, und das auf sehr realistische Weise. Denn ebenso wie der Leser wissen die Angehörigen anfangs nicht, wie sie den plötzlichen Todesfall einordnen sollen: War es ein Unfall? Läuft ein Mörder auf freiem Fuß herum? Oder hatte Lydia ernsthafte, doch unbemerkte psychische Schwierigkeiten? Insbesondere da die Polizei zu Beginn mit einbezogen wird und man nur nach und nach Einblicke in das Familienleben bekommt, scheint alles offenzustehen, auch wenn sich nach und nach hinauskristallisiert, dass insbesondere Marilyn, die Mutter, fast schon auf einen Mord hofft. Denn wie schrecklich wäre es festzustellen, dass sich das eigene Kind wegen einem selbst das Leben genommen hat? Nicht nur Marilyn versucht diesen Gedanken von sich zu schieben, sondern auch James und ihr Sohn Nathan, der die Schuld eher bei einem Schulfreund Lydias sucht, der den Ruf eines Herzensbrechers hat. Sie alle jedoch gehen sehr individuell mit ihrer Trauer um und entfremden sich voneinander statt sie gemeinsam zu bewältigen und zuzugeben, dass nicht alles rundläuft. So erfährt man abwechselnd sowohl von der Gegenwart, in der sich alle voneinander entfernen, und von der Vergangenheit, die bereits in den 1950er Jahren einsetzt, als Marilyn und James sich kennenlernen, und bis zu Lydias letztem Tag andauert.
Daher fühlt man sich den Lees unglaublich nahe, da Celeste Ng es schafft, in so wenigen Seiten ganze Lebensumrisse zu zeichnen und ihren Figuren markante Persönlichkeiten zu verleihen. Anfangs kommt einem der weite Zeitsprung in die Vergangenheit etwas unnötig vor, jedoch merkt man nach und nach, dass Marilyn und James beide eine unglückliche Jugend hinter sich haben und ihr Lebensglück nicht in der Form finden konnten, in der sie es ursprünglich wollten. Ein Grund für viele Eltern, ihre Wünsche auf ihr Kind zu projizieren, sowohl positiv als auch negativ. Daher erlebt man nicht nur die Geschichte eines gescheiterten Lebens, sondern das von mehreren, was dem Ganzen noch eine wesentlich größere Tragik verleiht. Dabei verknüpft die Autorin die Thematik des Scheiterns wunderbar mit dem Setting von Was ich euch nicht erzählte, was Mitte der 70er einsetzt und in den Flashbacks zwanzig Jahre zurückspringt. Ein Zeitalter, in dem nicht nur Rassismus viel ausgeprägter war als heute, sondern auch der Sexismus gegenüber Frauen. Beide Komponenten erschweren es den Figuren, ihre Lebensziele zu verwirklichen, bis sie schließlich von der kommenden Generation, also den Kindern, getragen werden müssen. Selbstverständlich legitimiert das nicht, wie schrecklich insbesondere Nathan von seinem Vater behandelt wird, jedoch kann man durch die Rückblicke seine Handlungen und Gedanken gegenüber seinem Sohn, der ihn unangenehm an sich selbst erinnert, sehr gut verstehen, ebenso wie Marilyns Bemühen, aus Lydia eine künftige Medizinstudentin zu machen. Man trifft dabei sowohl auf positive Projektion, die beide Eltern bei Lydia an den Tag legen, wie auch negative bei Nathan; das Tragischste jedoch ist die Vernachlässigung des jüngsten Kindes Hannah, das einfach übersehen wird und sich so schrecklich nach Liebe sehnt, dass man sie als Leser nur umarmen und ihr zeigen möchte, dass sie nicht wertlos ist.
So fühlt man sich den Figuren dieses Buches wirklich nahe, auch wenn einige ihrer Handlungen weder die Familienmitglieder noch der Leser leicht vergeben kann und sie alle, auch Lydia, ihre Ecken und Kanten haben. Doch genau das macht diese Geschichte so real, und das trotz der großen Symbolik, die Ng eingebaut hat, um die Beziehungen und Wendepunkte in dieser Familie noch besser zu veranschaulichen. Es ist wirklich bewundernswert, wie sie in so wenigen Seiten so essenzielle, kleine und zugleich bedeutsame Szenen einbaut, um die Geschichte einer ganzen Familie kennenzulernen, ohne zu reduziert oder überladen zu sein. Sie bringen jedoch sowohl von der Handlung als auch dem metaphorischen, emotionalen Charakter dahinter eine Menge Hintergrund für die Figuren, weswegen sich das Buch trotz eines recht simpel gestrickten Plots nie langweilig, sondern stetig psychologisch interessant anfühlt.
Denn es geht nicht nur um Scheitern, sondern auch um Selbstfindung und das stetige Balancieren von Kindern zwischen ihren eigenen Wünschen und denen ihrer Eltern, was sich in allen drei Kindern wiederspiegelt. Am heftigsten trifft es allerdings Lydia, die sich ein regelrechtes Doppelleben aufbaut, um diese Balance noch aufrechterhalten zu können. Der Leistungsdruck ihrer Eltern sowie der Druck gegenüber sich selbst, sie zufriedenzustellen, ist hervorragend dargestellt und zeigt ein zeitloses Thema, in dem sich sicherlich viele Jugendliche werden wiederfinden können. Man erlebt, wie sie langsam in Depressionen verfällt und das Bild der perfekten Tochter nicht mehr aufrechterhalten kann, vor allem nachdem sie ihre einzige Bezugsperson schwinden sieht. Man leidet so mit ihr mit, dass man hofft, es würde besser werden, obwohl man bereits weiß, was Lydia am Ende erwartet - auch wenn dieses Ende durchaus verschieden interpretiert werden kann.
So symbolisch aussagekräftig Ng ihre Geschichte gestaltet, so frei lässt sie einem Lydias letzte Minuten. Doch egal wie man diese versteht, zum Ende hin wird diese destruktive Harmoniebedürftigkeit der Familie bis auf die Spitze getrieben und bringt auch den Leser an die Grenzen seiner Emotionalität. Denn egal wie kaputt diese Familie ist, man hofft und bangt trotzdem, dass sie trotz des Todesfalls wieder zueinander findet, umso mehr, weil auf jegliche Überdramatik und Kitsch verzichtet wird. 




Atmosphärisch und voller Symbolkraft erzählt Celeste Ng ein berührendes und emotional aufschürfendes Familiendrama, das durch einen vermeintlichen Suizid mit Konflikten konfrontiert wird, die schon viel zu lange verdrängt werden. Was zu Beginn noch eine Kriminalgeschichte sein könnte, entwickelt sich recht schnell zu einer Charakterstudie, die gebrochene Persönlichkeiten vorstellt und wie sie sich gegenseitig nur Gutes wollen und sich (und andere) gleichzeitig dabei kaputtmachen. Man kann sie alle verstehen und mit ihnen mitfühlen, auch wenn sie häufig Fehler machen und in sich selbst gefangen sind. Genau aus diesem Grund kann einen die sich immer weiter zuspitzende Situation in der Familie nach und vor Lydias Tod sehr ergreifen und wird sicherlich auch andere Leser den Tränen nahebringen. Kein aufgeputschtes Drama, keine übermäßigen Tränen, sondern eine reale Story einer Gemeinschaft voller Individuen, die verzweifelt versuchen sie selbst zu sein und dabei - in Lydias Fall - scheitern, weswegen man umso gespannter darauf ist, wie es für die Zurückgebliebenen ausgeht. Wahnsinnig empfehlenswert und ein meisterhaftes Debüt!




Ich gebe dem Buch:


♥.♥ Herzchen


Extra:



Letztes Jahr erschien der zweite Roman der Autorin unter dem Titel Kleine Feuer überall. Hier scheint es darum zu gehen, dass das Haus einer Frau Opfer von Brandstiftung geworden ist und das stille Idyll, das sie sich aufbauen wollte, somit in Flammen aufgeht.


Hier geht es zu weiteren Informationen und Rezensionen :)


CU
Sana

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