Samstag, 14. Juli 2018

:)Rezension:): América

Grundwissen:



Titel♥: América (original: The Tortilla Curtain)
Autor/-in♥: Tom Coraghessan Boyle
Erschienen♥: November 2006 im dtv-Verlag; November 1998 im dtv-Verlag; original 1995
Seitenanzahl♥: 389 Seiten
Preis♥: 9, 95 € (Taschenbuch); ab 0, 59 € (Hardcover) [Quelle: amazon.de]
Genre♥: Drama; Satire



Quelle: © dtv Verlag
Quelle: © Penguin Books
























Inhalt:


Und worum ging es in alledem? Um Arbeit, sonst nichts. Um das Recht zu arbeiten, einen Job zu haben, sich das tägliche Brot zu verdienen und ein Dach über dem Kopf zu verdienen. Es wurde zum Verbrechen allein dadurch, daß er es wagte, das ebenfalls zu wollen, und für das schlichte menschliche Existenzminimum alles aufs Spiel setzte, und jetzt verwehrten sie ihm sogar das noch. - S. 224




Der Mexikaner Cándido ist mit seiner Frau América das Risiko eingegangen, das viele vor und nach ihnen eingegangen sind: Sie sind über die Grenze in die USA geflüchtet, voller Hoffnung, dort Arbeit, Obdach und ein menschenwürdiges Leben für ihr Baby zu finden. Doch schon ganz zu Beginn hat das Paar keinen leichten Start, als Cándido von dem liberalen Naturjournalisten Delaney angefahren wird. Die einzige Hilfe, die er ihm überlässt, sind zwanzig Dollar. So müssen sich die beiden Flüchtlinge in einem Lager im Wald durchschlagen, während einen Katzensprung entfernt Delaney mit seiner zweiten Frau Kyra und seinem Stiefsohn Jordon ein wohlhabendes Leben lebt - doch das soll nicht das letzte Mal gewesen sein, dass sich die beiden Männer begegnen ...





Meine Meinung ...




zum Buch:




Es hat schon immer Verbrechen gegen die Menschheit gegeben, und egal wie sehr sich Menschenrechtsorganisationen bemühen, wahrscheinlich wird es sie immer geben. Eines der größten Kontroversen jedoch ist die Flüchtlingskrise, die noch immer aktuell ist, auch wenn die Nachrichten wegen ihrer Alltäglichkeit sie kaum mehr thematisieren. Denn nicht nur ist diese Thematik viel näher an uns dran als eine Horde Minderjähriger, die unter grauenvollen Arbeitsbedingungen unsere Klamotten herstellen, auch ist diese Krise maßgeblich für den Rechtsruck verantwortlich. Unglaublich also, dass T.C. Boyles Roman selbst zwanzig Jahre nach seiner Veröffentlichung genauso zeitlos und genauso wichtig ist wie zum damaligen Zeitpunkt. Vielleicht sogar noch wichtiger für die USA, wo Trump die Mauern noch undurchlässiger machen will als sowieso schon.
Was die Anwesenheit von Ausländern auslöst, ist in América wirklich gut dargestellt. Das Ausnutzen derer als billige und illegale Arbeitskräfte und ihrer prekären Situation wird besonders im Umgang mit América dargestellt, die als Frau geringere Chancen hat, von Staatsbürgern zu harter körperlicher Arbeit ausgesucht zu werden und zusätzlich immer wieder sexuell belästigt wird. Auch wie widersprüchlich es ist, dass illegale Einwanderer immer Angst darum haben müssen, erwischt zu werden, obwohl sie nicht mal die Chance haben, sich legal anzumelden, wird aufgezeigt, ebenso wie die geringen Sprachkenntnisse dies behindern können. Doch nicht nur die Perspektiven der Mexikaner verarbeitet er in América, sondern zeigt in herrlich überspitzter Weise das Heuchlertum der oberen Mittelschicht und Oberschicht. Delaney und seine Frau Kyra geben sich als offene Liberalisten mit einem Herz für Tiere und politischem Engagement in ihrer Gemeinde, zeigen aber schon von Anbeginn ihre verschleierte Abneigung gegenüber Ausländern. Alleine, dass Delaney versucht sein Gewissen mit zwanzig Dollar zu beruhigen, weil er sich einredet, Cándido nur in Schwierigkeiten zu bringen, wenn er ihn ins Krankenhaus bringen würde, zeigt schon die unterschwellig rassistische Einstellung von ihm; immerhin könnte Cándido auch ein US-Bürger mit mexikanischen Wurzeln sein.
Allgemein ist diese Darstellung von Doppelmoral das Erschreckendste an diesem Roman. Die Art, wie vor allem die wohlhabenderen Bürger stetig neue Argumente finden, sich von dem ,,Elend'' der Stadt abzugrenzen, während noch im gleichen Gespräch davon gesprochen wird, wie schlimm es ist, Tiere, die auf die Essensreste der Menschen angewiesen sind, einfach auszusperren, ist wirklich erschreckend. Beinahe hat diese Form der Satire schon zu viel von realistischen Gegebenheiten der heutigen Zeit. Der Vergleich zwischen Tieren, vor allem Koyoten, und Flüchtlingen wird häufiger gezogen und zeigt, dass viele Menschen sich zwar über Tierquälerei empören, selbst aber nicht bereit sind, etwas gegen menschenunwürdige Umstände zu tun. Diese werden besonders durch Boyles schonungslose Darstellung des Lebens der beiden Mexikaner porträtiert, deren Hoffnung auf ein besseres Leben schwindet, deren Scham aber zu groß ist, um nach Hause zurückzukehren. Das wahre Opfer ist allerdings América, die nur dem älteren und erfahrenen Cándido wegen ihre Heimat verlassen hat und nun im Dreck schlafen muss. Nicht nur ihr Mann lässt ihr gegenüber häufiger seinen Frust aus, auch wird sie das Opfer von schweren Verbrechen.
Das ist ein Merkmal des Buches, das zwiespältig zu betrachten ist, denn während es löblich ist, dass Boyle aus den Opfern des Systems keine frommen Lämmer macht, ist es doch anstrengend, lauter unsympathischen Figuren zu folgen. Denn nicht nur die Protagonisten, auch Nebenfiguren, die im Nachhinein noch wichtige Rollen einnehmen, sind entweder scheinheilig oder nutzen die Hilflosigkeit anderer schamlos aus. Während man das Verhalten der Hauptfiguren aber noch durchaus versteht, basiert das der Nebencharaktere auf purer Grausamkeit. Das wirkte an manchen Stellen nicht plastisch, sondern nur des Schocks wegen reingeschrieben.
Außerdem ist América alles andere als ereignisreich. Hauptsächlich begleitet man die beiden Familien nur in ihrem Alltag, der in beiden Fällen sehr monoton verläuft und nur stückchenweise eine Entwicklung - häufig ins Negative - der Charaktere zeigt. Auf der einen Seite ist das sehr realistisch und hat dieser Satire einen viel zu realen Unterton verliehen, auf der anderen Seite wirkt das Ende im Vergleich dazu viel zu überspitzt und beinahe schon surreal. Allerdings ist nicht auszuschließen, das genau dies der Autor auch damit bezwecken wollte, um aufzuzeigen, wohin es führen wird, wenn die Flüchtlingsthematik weiterhin so geflissentlich ignoriert wird.



Letztlich ein wirklich gutes, literarisch ansprechend formuliertes und aktuelles Buch, das vermutlich nie vollständig an Relevanz verlieren wird. Boyle zeigt wunderbar die Doppelmoral derer auf, die zwar große Töne über Liberalismus spucken, selbst aber als erstes den Schwanz einziehen und nichts von ihrem Überfluss an Besitz abgeben wollen, um den Menschen unter ihnen zu helfen. Mit erschreckenden, satirischen und überspitzten Bildern beleuchtet der Autor den tristen und hoffnungslosen Alltag des gehobeneren Bürgertums und der Armut und was passiert, wenn die ersteren letzteren die Hilfe verweigern. Zwar machen es einem die Figuren manchmal wirklich schwer, ihrer Geschichte gespannt statt genervt zu folgen, und auch das Ende war etwas übertrieben, ansonsten jedoch muss man Boyle Respekt für seine akkurate und präzise Darstellung eines gesellschaftlich relevanten Problems zollen. Definitiv eine Empfehlung!




Ich gebe dem Buch:


♥ Herzchen


Extra:


Wer Lust auf eine lustige Zusammenfassung des Buches hat, der kann sich gerne dieses Video vom Kanal kaaareen 257 (*) ansehen ^.^ Es ist auf jeden Fall sehr kreativ gestaltet.



(*) Durch das Zeigen dieses Videos handelt es sich hier um Werbung. Allerdings wurde ich weder darum gebeten, es auf meinem Blog zu präsentieren noch bekomme ich dafür irgendwelche Einnahmen oder Entschädigungen.


CU
Sana

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