Dienstag, 18. September 2018

:)Rezension:): Vaterland

Grundwissen:



Titel♥: Vaterland (original: Fatherland)
Autor/-in♥: Robert Harris
Erschienen♥: März 2017 im Heyne-Verlag (Taschenbuch-Neuauflage); April 1994 im Heyne-Verlag (Taschenbuch); original 1992
Seitenanzahl♥: 372 ohne Anhang
Preis♥: 8, 95 € (Taschenbuch)
Genre♥: Historical Fiction; Alternative Realität/Dystopie; Krimi



Quelle: © Heyne Verlag
Quelle: © Hatorch Verlag





















Inhalt:


Nein [...], denn jetzt hätten sie Tatsachen, und Tatsachen verändern alles. Ohne die habe man nichts, eine gähnende Leere. Aber leg Tatsachen vor - bring ihnen Namen, Daten, Befehle, Zahlen, Zeittafeln, Ortsangaben, Kartenhinweise, Programme, Fotos, Diagramme, Beschreibungen - und plötzlich besitzt die Leere eine Geometrie, wird der Vermessung zugänglich, ist zu einem festen Gegenstand geworden. Natürlich könne man diesen festen Gegenstand ableugnen, oder in Frage stellen, oder einfach nicht beachten. Aber jede dieser Reaktionen sei per definitionem eben eine Re-Aktion, die Antwort auf etwas das existiert. - S. 326



14. April 1964: Xaver März wird frühmorgens aus dem Bett geklingelt, um sich einem neuen Kriminalfall zu stellen. Eine Leiche wird in einem See gefunden und später als Josef Bühler identifiziert, einem hochrangigen Parteifunktionär und ehemaliger Staatssekretär im Generalgouvernment Polen. Ausgerechnet jetzt, einige Tage vor Adolf Hitlers großem anstehenden Treffen mit Joe Kennedy, um eine Annäherung zwischen Großdeutschland und dem größten Verbündeten der USA zu schaffen. Und einige Tage vor dem 75. Geburtstag des Führers, der den Zweiten Weltkrieg gewann. Doch nicht nur Josef Bühler wird tot aufgefunden, sondern auch andere hohe Tiere der NSDAP, die alle etwas Spezielles verbindet. Sehr schnell möchte sich die Gestapo der Ermittlungen annehmen und März davon abhalten, weitere Nachforschungen anzustellen. Steckt dahinter etwa eine Verschwörung? März und einer unerwarteten, amerikanischen Hilfe namens Charlie bleibt nicht mehr viel Zeit, das herauszufinden ....



Meine Meinung ...



zum Buch:





Die Prämisse einer alternativen Welt, in der die Nationalsozialisten den Krieg gewonnen haben und ihre größenwahnsinnigen Pläne umsetzen können, hat etwas Erschreckendes und gleichermaßen Faszinierendes. Der Sci-Fi-Autor Phillip K. Dick setzte dieses Konzept in seinem Werk Das Orakel vom Berge um, jedoch ohne sonderlich viel auf die Länder einzugehen, die von den Nazis besetzt sind, und fast ebenso wenig konzentriert er sich auf Deutschland. Robert Harris hingegen hat eine Geschichte geschrieben, die alles aus dieser Alternativwelt rausholt, was man sich nur erdenken kann, und verknüpft sie mit einem brisanten Kriminalfall.
Das Herausragendste an diesem Roman ist wirklich der Aufbau dieser großdeutschen Welt. Nicht nur wird das unterlegt mit Karten und Entwürfen der Siegesallee, sondern auch mit clever eingefädelten Grundlagen über wichtige Akteure in der Politik oder die allgemeine deutsche Gesellschaft. Sie fließen vollkommen natürlich in die Handlung mit ein; statt sich ewig langer Expositionsmonologe zu bedienen, webt der Autor zum Beispiel eine Sightseeing-Tour der wichtigsten Gebäude und Institutionen Berlins, Zeitungsartikel oder Fernsehsendungen über (bevorstehende) Vorkommnisse, geheime Dokumente, die an echten angelehnt sind, und weitere clevere Einlagen ein, die es dem Leser erleichtern, mit Spaß etwas über diese Welt zu erfahren. Somit fühlt sie sich wahnsinnig real an und wie eine konsequente Weiterführung dessen, was die Nazis in den 30er bis Mitte der 40er Jahre begonnen haben. Es ist eine düstere und monotone Welt, in der Andersdenkende verachtet werden, in der die Menschen nach ihrer Gesinnung für die Partei beurteilt (und auch befördert) werden, sich aber nicht komplett vor der Außenwelt verschließt. Beispielhaft dafür ist das anstehende Treffen von Kennedy und Hitler, was natürlich auch den Tourismus der Amerikaner in Berlin hochkurbelt und zeigt, dass zugunsten des Profits selbst entgegengesetzte Weltbilder miteinander interagieren können - und die Verlogenheit dessen. Diese Welt und die Deutschen werden somit nicht, wie es häufig bei amerikanischen Autoren zu sein scheint, dämonisiert, sondern nachdenklich reflektiert und trotz ihrer Komplexität dem Leser leichtfüßig vermittelt.
Doch nicht nur ist dieser Plot politisch und auf seine komplizierte Weise realistisch, auch der Kriminalfall macht Vaterland zu einer spannenden Geschichte. Statt das obligatorische Action-Massaker einzusetzen, an das sicherlich viele gedacht hätten, wenn Nazis im Spiel sind, verläuft die Suche nach Hinweisen höchstens mit ein wenig Versteckspiel und Hetzjagden, ansonsten jedoch basiert sie hauptsächlich auf Gesprächen und eingesehenen Dokumenten. Das kann sich natürlich für viele Leser ziehen, und wenn man nach über zwei Dritteln des Romans noch immer mit den Figuren im Dunkeln steht, kann man durchaus ungeduldig werden. Dazu trägt auch bei, dass der Autor seine Dialoge meistens ausschreibt und daher kürzlich Herausgefundenes oder Erlebtes vielfach rekapituliert wird. Das kann zwar hilfreich sein, wenn man sich schwierigere Handlungen mit Verschwörungen und unterschiedlichen Parteien nicht gut merken kann, allerdings hätte ein bisschen weniger davon nicht geschadet. Nichtsdestotrotz machen die drängende Zeit und vielen Personen, die hinter dem Protagonisten her sind, es zu einer aufregenden Schnitzeljagd, die einen mit ihren Antworten überrascht, schockiert und mit einem Bezug zur heutigen Realität konfrontiert. Sobald man des Rätsels Lösung hat, muss man das Buch sogar eine Zeit lang zur Seite legen, weil diese Wahrheit schwer im Magen liegt und vom Autor so nüchtern erzählt wird, dass man einen Brechreiz verspürt. Es ist von vorne bis hinten durchdacht und zeigt, wie bereitwillig und offen der Autor auf dieses Thema zugegangen ist statt sich auf ein plakatives ,,Die Deutschen sind böse'' zu beschränken.
Nicht zuletzt kommt das durch die Dynamik des Protagonisten und seiner amerikanischen Begleitung zustande, die zwar ähnliche Überzeugungen haben, aber in unterschiedlichen Welten aufwachsen. Beide sind in ihren Rollen sehr typisch gezeichnet, obwohl es ihnen dadurch nicht an Tiefe fehlt. Xaver ist ein absoluter Workaholic, der unter anderem dadurch seine Familie vergrault hat - hauptsächlich ist er aber allein, weil er das System nicht befürwortet. Das macht es interessant, ihn bei seiner Arbeit zu beobachten, da er letztlich damit für die Menschen arbeitet, die er verachtet. Er ist ein gebrochener Mensch, der seine Schwachpunkte hat und die im Laufe des Plots häufig gegen ihn verwendet werden - manchmal sogar von ihm selbst. Dem Leser ist in solchen Situationen von Anfang an klar, wohin das führen wird, allerdings schafft es Harris, dass man ihm diese Leichtgläubigkeit nicht übel nimmt. Schließlich handelt jeder Mensch gegen seine Vernunft, wenn er dort angegriffen wird, wo es am meisten wehtut. 
Auch Charlie ist eine Figur, die feministischen Lesern sehr gefallen wird. Sie passt sehr gut in die Handlung, handelt clever und wohlüberlegt, und hat häufig einen frechen Spruch auf den Lippen. Das komplette Gegenteil einer Frau, wie sie im Dritten Reich sein sollte. Aus diesem Grund ist es sogar verständlich, warum sich zwischen ihr und Xaver Gefühle entwickeln, auch wenn man merkt, dass dies dem Autor ein wenig als Plotelement dient. Dennoch ist es überhaupt nicht plakativ und führt zu eben diesem wunderbaren Ende, das zwar hier und da hätte ausführlicher sein können, allerdings eben so endet, wie das Buch auf keinen Fall anfängt: hoffnungsvoll.



Mit Vaterland hat Robert Harris das geschaffen, womit Das Orakel vom Berge von Phillip K. Dick immer beworben wird: eine hochrealistische und detaillierte Welt, in der die Nazis den Krieg gewonnen und sich ausgebreitet haben. Dieses World-Building ist auch das, was dieses Buch so außergewöhnlich gut macht und einen gespannt weiterlesen lässt. Von Harris kann man sich also definitiv eine Scheibe abschneiden in Sachen Weltenaufbau und die Platzierung dieser Details in der Geschichte, ohne dass es erzwungen wirkt. Auch der Kriminalfall ist ab und an zwar etwas träge, aber super herausgearbeitet und bietet einem ein wirklich starkes Ende. Begleitet von typischen, aber interessanten Figuren ein toller dystopischer Roman mit einer grandios ausgearbeiteten alternativen Welt. Definitiv sehr zu empfehlen!



Ich gebe dem Buch:


♥ Herzchen


Extra:


Wen der von Dick erwähnte Roman interessiert und warum er diesem hier unterlegen ist, der kann sich gerne meine Rezension dazu hier durchlesen.

Außerdem ist Robert Harris dafür bekannt, politische und auch historische Ereignisse aufzugreifen und literarisch zu beschreiben. Eine seiner bekanntesten Werke ist die Trilogie um den berühmten Redner Cicero aus Rom und seinen Aufstieg.
Hier könnt ihr euch die Reihe genauer ansehen :)

CU
Sana

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