Sonntag, 19. Mai 2019

►Serien-Review◄: Death Note | Der Schuss ins eigene Bein

Grundwissen:


Titel◄: Death Note (original: Desu Nōto)
Idee◄: Takeshi Obata; Tsugumi Ohba
Produzent/-en◄: Mikiko Kobayashi; Masao Maruyama; Toshio Nakatani; Manabu Tamura Kentarô Hashimoto; Kazuhiko Torishima; Masahiko Ôsawa; Mitsuru Ôshima
Produktionsfirma◄: K.K. Madhouse
Regisseur/-e◄: Tetsuro Araki
Drehbuchautor/-en◄: Gracie E. Aylward; Shoji  Yonemura; Tishoki Inoue; Takeshi Obata; Tomohiko Ito; Tsugumi Ohba; Yasuko Kobayashi
Erschienen◄: original 2006 im japanischen Fernsehen; 2007 im 
Dauer◄: ca. 21 Minuten (37 Episoden)
Altersfreigabe◄: FSK 16
Genre◄: Mystery; Krimi; Psychothriller
Preis◄: 42, 32 €/54, 99 € (Vol. 1 und Vol. 2 der DVD-Boxen); 54, 99 € (Vol. 1 und Vol. 2 der Blu-Ray-Boxen) [Quelle: amazon.de]


Quelle: © K. K. Madhouse



Inhalt:


,,Hier zeigt der Mensch sein wahres Gesicht. Aus Angst stehen sie öffentlich nicht zu mir, aber im Internet, wo keiner weiß, wer was geschrieben hat, wimmelt es bereits von Geschichten über ,Kira'. Auch wenn es keiner ausspricht, weiß doch jeder schon Bescheid. Die Bösen werden von jemandem ausradiert. Und in ihren Herzen feuern die Tugendhaften Kira an.'' - Light Yagami [01.01]



Light Yagami ist einer der besten Schüler Japans und mindestens genauso gelangweilt wie der Totengott Ryuk, der sein Death Note auf der Erde verliert. Als Light es findet, nimmt er die darin beschriebenen Regeln nicht ernst: Ein Buch, das jeden tötet, dessen Namen man reinschreibt? Lächerlich. Doch die Langeweile siegt und er probiert es aus, indem er einen verurteilten Verbrecher nach dem anderen umbringt. Er will eine neue Welt erschaffen, in der das Böse ausgelöscht ist und er als Gott dieser Welt zelebriert wird. Die Mordserie bleibt von der Gesellschaft nicht unbemerkt, die diesem neuen Verbrecher und Richter über jene den Namen ,,Kira'' verleihen. Auch der Interpol entgeht das nicht, und nur ihr bester Mann kann die Identität des unbekannten Mörders identifizieren: Ein ebenfalls anonymer Detektiv namens L.


Meine Meinung ...




zur Serie:


Als Anime-Einsteiger bleibt man von Lobeshymnen der Serienadaption der 12-teiligen Manga-Reihe nicht verschont. Der glorreiche Kampf zwischen Light und L ist so ziemlich eine der beliebtesten Feindschaften überhaupt und auch dass noch 2017 ein amerikanischer Film auf Netflix veröffentlicht wurde, zeugt davon, wie einschneidend und bedeutsam der Anime selbst noch zehn Jahre nach der Zeit seiner Ausstrahlung für viele ist.

Moral & Gerechtigkeit

Alleine die Idee ist eine, die niemals in dieser Form ausgeführt wurde und die durch ihr Thema der Todesstrafe ziemlich polarisiert. Denn in einer Welt, in der in vielen Teilen Demokratie herrscht und die Unantastbarkeit der menschlichen Würde im Vordergrund stehen sollte, gibt es doch überraschend viele Menschen, die sich für die Todesstrafe aussprechen, insbesondere bei Schwerstverbrechern, die Morde und Vergewaltigungen begangen haben.  Selbst in Deutschland, in dem das Thema gar nicht mehr zur Debatte steht, haben überraschend viele der befragten Jura-Studenten in dieser Studie diese Form der Bestrafung als sinnig erachtet. Vielleicht gehört ihr ja sogar zu den 25 Prozent der deutschen Bevölkerung, die für eine Wiedereinführung dieser Strafe wäre.
Wie würdet ihr also dazu stehen, wenn ein anonymer Einzelner über Schwerstverbrecher richtet und ihr Leben nimmt, weil es seiner Meinung nach gerecht ist? Würdet ihr ihm zujubeln und fordern, dass sein Wort Gesetz wird? Würdet ihr entsetzt sein darüber, dass jemand seine Moral über das Gesetz stellt? Oder findet ihr, dass das Gesetz sogar nur die Meinung einiger weniger widerspiegelt und genauso gut die von ,,Kira'' bzw. Light Yagami anerkannt werden sollte? Mit diesen in den Raum geworfenen Fragen stößt Death Note viele Ansätze im Kopf des Lesers an, die ihn auch dazu zwingen, sich während des Schauens zu positionieren. Denn anfangs ertappt man sich vielleicht sogar, wie man mit Light mitfiebert und unreflektiert hofft, dass durch seine Schreckherrschaft die Welt ein besserer Ort wird - aber eine gute Intention ist eben nicht gleichbedeutend mit guten Taten.
Denn während Light immer überzeugter von seiner eigenen Einstellung zu den Dingen wird, umso radikaler werden seine Taten und desto mehr Opfer nimmt er in Kauf, um sein Ziel zu erreichen - unter anderem auch den Tod von Menschen, die unschuldig sind. Und dieser moralische Verfall, der von Light selbst unbemerkt bleibt und immer mehr Tribute fordert, ist es, was die Serie so interessant zu schauen macht, besonders da die Macher wert darauf legen, die religiösen Dimensionen dieser Fragen um Leben und Tod immer wieder durch zeichnerische Motive oder aus Engelschören bestehende dramatische Musik darzustellen. So lassen einen nicht nur die gesellschaftlichen Auswirkungen von Lights Taten weiterschauen, sondern auch er als Charakter, der nicht nur einen Gottkomplex entwickelt, sondern auch einer der intelligentesten Bösewichte ist, die je erfunden wurden.

Der Kampf zwei intellektueller Giganten

Ihm absolut ebenbürtig ist der beste Detektiv der Welt, L, der nicht nur das Asperger-Syndrom sehr anschaulich repräsentiert, sondern ebenso heftig von seinem Gerechtigkeitssinn getrieben wird wie sein Erzfeind. Obwohl sie also auf zwei entgegengesetzten Seiten stehen, haben sie doch genug gemeinsam, um eine wirklich interessante und packende Dynamik zu entwickeln. Sie wollen einander immer um drei Schritte voraus sein, besiegen sich aber maximal um eine Nasenlänge, von der man nicht mal sicher sein kann, ob sie in der nächsten Runde bestehen bleibt. Alleine, dass die beiden sich irgendwann gegenüberstehen, allerdings nicht um die Identität des anderen wissen, macht das Versteckspiel ungeheuer spannend und so die Voiceover der Charaktere notwendig. Denn die beiden sind unglaublich gerissen und ändern ihre Strategie im Sekundentakt, weswegen man als Zuschauer überhaupt nicht mitkommen würde, wenn man nicht an ihren Gedanken teilhaben würde.
Umso interessanter wird der Konflikt zwischen den beiden, als man merkt, dass sie eigentlich sehr gute Freunde sein könnten. Denn sie beide sind Idealisten, die sich zum ersten Mal intellektuell mit jemandem auf ihrem Niveau messen können, und sich so in gewisser Weise auch brauchen. Der eine komplementiert und vervollkommnet den anderen.
So bleibt dem Zuschauer für die erste Hälfte der Serie ein hochspannendes Duell geboten, das man fingernägelkauend verfolgt und hofft und bangt, dass Light nicht die Oberhand beibehalten wird. Kaum eine Serie dürfte so schnell wegzuschauen sein wie diese, denn jede 21 Minuten jeder Folge fühlen sich maximal an wie zehn. Das Pacing ist somit fantastisch, ebenso wie die intelligenten Plot Twists und die Ebenbürtigkeit der beiden Gegner einen an den Bildschirm gefesselt hält. 

Der Schuss ins eigene Knie

Doch wie schon erwähnt, bezieht sich diese Makellosigkeit überwiegend nur auf die erste Hälfte der Folgen. Denn das Konzept der zwei konkurrierenden Giganten wird zwar lange aufrechterhalten, aber doch nicht über die ganze Serie. Das wäre vermutlich für 37 Episoden auch auf Dauer zu langweilig gewesen. Die Entscheidung, die stattdessen getroffen wird, ist jedoch nicht unbedingt besser.
An alle alteingesessenen Death-Note-Fans: Ein Konkurrenzkampf und ständiges Katz-und-Maus-Spiel bleibt immer spaßig, wenn sich die Gegner ebenbürtig sind. Dies ist auch über die zweite Serienhälfte gegeben, besonders da sich die Serie in eine Richtung entwickelt, die man so nicht erwarten würde und die einen zunächst bis ins Mark schockiert. Insbesondere die Langzeit-Auswirkungen dieser Morde aus Selbstjustiz werden in dieser Hälfte umso besser eingeflochten und führen den Zuschauer ein wenig raus aus der reinen Perspektive der Interpol und japanischen Polizei. Auch die unerwarteten Kniffe und Wendungen bleiben von der Qualität her bestehen. Somit ist dieser Scheideweg der Serie nicht grundsätzlich schlecht.
Doch wenn man eine Figur innerhalb dieses Zweikampfes lieb gewinnt und diese durch eine andere austauscht, dann schießt man sich als Geschichte leider selbst ins Bein. Man hat eher den Eindruck, dass die neu eingesetzten Charaktere nur Abklatsche sind von dem, was einem zuvor geboten wird, und sie, trotz ähnlichem Intellekt, nicht mit ihrem Vorbild mithalten können. So wirkt dieser zweite Abschnitt nach einem einschneidenden Ereignis wie eine Wiederholung der ersten Hälfte, nur in ,,weniger interessant'' und wesentlich langwieriger. Auch bereits zuvor angewandte Plot Twists werden wieder benutzt und haben somit kaum mehr einen Überraschungseffekt. Eher wirken sie dahingeschrieben, damit man die Story länger konstruieren kann als sie eigentlich angedacht ist. Aus diesem Grund sitzt man irgendwann nur noch ungeduldig da und wartet darauf, dass die Wahrheit um Kira endlich ans Licht kommt - denn fast war man schon an dem Punkt gewesen, an dem Light den Kampf verloren hätte, nur um quasi auf ,,Neustart'' zu drücken und die Serie so in die Länge ziehen zu können.

Die typischen Anime-Kompromisse

Dahingehend kann man sich darüber streiten, ob die Kniffe der Drehbuchautoren und Autoren des Manga, Obata und Ohba, die Handlung wirklich so intelligent geschrieben haben. Denn in vielen Fällen sind Zufälle und genaueste Kalkulation notwendig, damit diese Wendungen genauso eintreten, wie Light oder L sie planen. Ein YouTube-Video, das die Handlung der Serie schnell und satirisch zusammenfasst, bietet sogar einen Satz, der den Nadel auf den Kopf trifft, wie nahezu jede Wendung dieses Animes funktioniert:

,,Ich wusste, dass du das tun würdest, also habe ich jenes getan!''

Wahrscheinlich ist es aber das, was den Anime für viele so außergewöhnlich macht: Obwohl er sehr brutal ist und die Anzahl der Toten im dreistelligen Bereich liegen dürfte, liegt der eigentliche Kampf im Austricksen seines Gegenübers und einer ständigen Maskerade. Das dürfte besonders für Fans des Genres eine neue Perspektive in Sachen Spannung und Stärke eröffnet haben - eine, die nicht in physischer Kraft und Auseinandersetzung liegt. Doch ähnlich over the top wie Kämpfe im Anime, ist es hier das Gedankenkonstrukt, das Handlungen von A nach B führt und manchmal Sackgassen alles andere als brillant überspielt. Ohne zu spoilern: Gedächtnisverlust ist ein sehr faules Mittel, egal in welcher Story.
Doch abseits von diesem Kompromiss, der sich in die Welt der Animes einfügt, ist auch Misa ein Fremdkörper in der Serie. Die einzige weibliche Hauptfigur, die allerdings weder intellektuell noch in ihrer Tragweite dasselbe Gewicht hat wie ihre männlichen Mitstreiter. Sie wird vielversprechend eingeführt, allerdings wird ihr Potential kaum ausgeschöpft und ihre Rolle nur auf die eines Manic Pixie Dream Girls reduziert. Das zufälligerweise sehr sexy Klamotten trägt und faktisch nur ihren Körper benutzt, um den Plot voranzutreiben. 
Eine Over-the-top-Handlung und eine weibliche Figur, die leider nur als Blickfang geeignet ist? So unabdingbar das für einen Anime erscheinen mag, Death Note wäre besser dran ohne diese beiden Aspekte gewesen.


Vom Shitstorm werde ich wohl nicht verschont bleiben, auch wenn ich ganz klar sage, dass Death Note keine schlechte Serie und keinesfalls ein schlechter Anime ist. Besonders die moralischen Fragen und Zerwürfnisse, die im Laufe der Serie gestellt werden, machen sie herausragend, ebenso wie der Kampf zweier Intelligenzbestien, die gerissener ist als jedes Schachspiel und spannender als jeder Nahkampf es sein könnte. Somit ist Death Note etwas für jeden Zuschauer, der gerne mitdenkt und daran glaubt, dass auch Strategie genauso packend sein kann wie Prügelei. Doch mit einer einzigen Entscheidung schießen sich die Macher leider selbst ins Bein und wiederholen den Plot der ersten Hälfte, der mit genug Mumm eigentlich schon in der ersten hätte zu Ende geführt werden können. So wird der Anime einfach zu lang und wirkt am Ende eher wie ein Schatten seiner selbst. Zwar endet es befriedigend, hätte aber unglaublich gut sein können. Daher: Der Hype ist gerechtfertigt, aber, um es wie L auszudrücken, zu 67 Prozent.



Ich gebe der Serie:


3,5/5 Punkten


CU
Sana

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