Dienstag, 4. Juni 2019

Kill - Shane Stevens| True-Crime in Romanform

[Rezension]


Grundwissen:


Titel♥: Kill (original: By Reason of Insanity; ursprünglich: Der Killer)
Autor/-in♥: Shane Stevens
Erschienen♥: Neuauflage auf Deutsch im Januar 2019; erste Auflage auf Deutsch 1986; original 1979
Seitenanzahl♥: 497 Seiten
Genre♥: Thriller; Horror; Krimi
Preis♥: 9, 99 € (Kindle Edition); 10, 99 € (Taschenbuch)



Quelle: © Heyne-Verlag
Quelle: © Chicago Reviews Press






















Inhalt:


Die 1970er Jahre in den USA hatten es in sich - denn nicht nur hat sich die Gesellschaft in dieser Zeitspanne grundlegend verändert, auch die Abschaffung der Todesstrafe stand zur Diskussion. Ein Verbrecher, der für mehrfachen Vergewaltigung und Raub verurteilt wurde, ist Caryl Chessman. Eines seiner Opfer, Sara Bishop, bekam sogar ein ungewolltes Kind von ihn, jedoch ohne dies jemals an die Öffentlichkeit zu tragen. Dieses Kind war Thomas Bishop, und dieses litt solche psychischen Qualen unter seiner Mutter, dass er seinen ersten Mord an ihr im Alter von 10 Jahren beging. Und einige Jahre später erfährt er vom ungerechten Tod seines Vaters und bricht aus seiner Anstalt aus, um sein Werk fortzusetzen. Damit beginnt eine der blutigsten Mordserien Amerikas und eine Hexenjagd auf einen blutrünstigen Unbekannten.





Meine Meinung ...




zum Buch:

Besonders beim Erscheinen der vierteiligen Netflix-Dokumentation Ted Bundy: Selbstporträt eines Serienmörders wurde offenkundig, dass True Crime gerade eine Wieder-Aufleb-Phase hat. Irgendwas scheint uns nicht nur an fiktiven brutalen Serienmördern zu faszinieren, sondern auch an real existierenden Fällen, besonders wenn diese Mörder überhaupt nicht wie gewalttätige Schlägertypen aussehen, sondern so wie Ted Bundy. Kein Wunder also, dass der Heyne-Verlag ein Buch mit genau dieser Thematik erneut rausbringt, obwohl es vor dreißig Jahren erschienen ist. Ob dieses Geschäftsmodell aufgegangen ist und ob das Buch genauso extrem und schockierend ist wie früher - das erfahrt ihr in dieser Rezension.

,,Unzensiert'' als Lockruf


In einer Gesellschaft, in der Splatter und Torture Porn mittlerweile zu jedem beliebten Horrorfilm dazugehört, kann man mit der Werbung eines Thrillers, der nun unzensiert auf den Markt kommt, natürlich viele Kunden anlocken. Und für damalige Verhältnisse wären die Gewaltexzesse, die Thomas Bishop mehrfach in diesem Buch verrichtet, definitiv extrem gewesen. Vielleicht nicht mal zu extrem, wenn man sich die Hannibal-Reihe von Thomas Harris anschaut, die etwa zur gleichen Zeit zu erscheinen begann. Schockierend ist es trotzdem.
Schon ganz zu Beginn scheut Shane Stevens sich nicht davor, die Vergewaltigung der Mutter, ihre psychischen Probleme und wie sie diese an ihrem Sohn auslebt, im Detail zu beschreiben. Auch die begangenen Morde sind alles andere als subtil beschrieben und sehr kreativ in ihrer Ausführung; von eingeschlagenen Schädeln über Erstechen bis hin zu Nekrophilie scheut sich der Autor nicht, seinen Lesern die ganze Palette an Skurrilitäten zu bieten, die einen mit geweiteten Augen weiterlesen lassen. Auch die Rafinesse von Thomas Bishop regt einen dazu an, da er immer wieder seine Strategie ändern muss, um vom FBI und der zuständigen Polizei nicht erwischt zu werden. So trickst er sich durch Amerika und bekommt immer wieder durch seine charmante Art seine Opfer zu fassen.
Diese sind nämlich weiblich, da er genauso, wie seine Mutter Männer gehasst hat, er begann Frauen zu hassen und es als seine Aufgabe ansieht, die Welt von diesen grauenvollen Monstern zu befreien. Zwar ab und an plakativ beschrieben, ist dieser Knacks in der Psyche sehr interessant zu lesen und lässt auf einige Vorbilder schließen, die Shane Stevens für das Erschaffen seines Serienkillers gehabt haben muss, z.B. der zuvor erwähnte Ted Bundy oder auch Ed Kamper.
Wer sich also vom Stempel ,,unzensiert'' haufenweise Gewalt, Mord und Sex erhofft - der wird das definitiv bekommen.

Mit dem Holzhammer in Doku-Edition

Doch wie so häufig bei Büchern, die sich selbst mit ihrem Extremsein brüsten, so abgestumpft wird man irgendwann mit der Zeit dem gegenüber. Denn wenn man noch die ersten drei Male liest, wie Bishop seinen Charme nutzt, um sich an eine Frau ranzumachen, dann hat das noch seinen Reiz zu lesen, wie sie ihm verfallen und letztlich in die Falle laufen. Und auch wenn Bishop andere Städte aufsucht oder andere Wege findet, seine Opfer auf möglichst qualvolle Weisen umzubringen, sein Beuteschema sowie seine Vorgehensweise bleiben doch gleich. Dies wäre vielleicht gar nicht so gravierend, wenn die Geschichte wenigstens schnell und aufregend erzählt werden würde.
Allerdings hat Stevens einen sehr deskriptiven und langgezogenen Schreibstil, der faktenorientiert ist und an einen Bericht erinnert. So hat man zwar das Gefühl, besonders durch den Einbezug politischer und gesellschaftlich relevanter Themen zu der Zeit, eine sehr gut recherchierte True-Crime-Story zu lesen. Doch während man diese Perspektiven abseits von Bishops, beispielsweise die eines Provinz-Polizisten oder die des erwähnten Journalisten, anfangs noch interessant und vielseitig findet, übertreibt es der Autor damit und versucht damit eine Geschichte komplexer zu machen, als sie eigentlich ist. Dass durch Bishops Reise in verschiedene Bundesstaaten die Zuständigkeit für seinen Fall administrativ schwierig ist - sehr interessant! Vom Leben einer Person zu lesen, die nur eine einzige Aussage machen muss, und ansonsten keine Relevanz mehr hat - unnötig. Aus diesem Grund wirkt die Story irgendwann sehr langgezogen und unnötig verwinkelt.
Besonders in Anbetracht der Handlung, die abseits von Bishops Mördermission und den Ermittlungsarbeiten zu ihm nicht wirklich mehr zu bieten hat. Zwar ist ein politischer Handlungsstrang noch drin, in dem versucht wird, durch den Umgang mit dem Fall Bishop und seiner Einstellung zur Todesstrafe Wählerstimmen zu erreichen, dies verläuft sich jedoch nach und nach im Sande.
Somit wirkt es insgesamt wie Augenwischerei, wenn der Autor ein reines Katz-und-Mausspiel über nahezu 500 Seiten zieht und weder Bishop noch den ihn jagenden Figuren keine Tiefe gibt. Ja, Bishop hat einen Knacks weg, allerdings wieder sehr plakativ, und die anderen Figuren, an die kann man sich ehrlich gesagt schon während des Lesens kaum erinnern.

Irrungen und Wirrungen

So oft die Ermittler und der unabhängig handelnde Journalist also auf Sackgassen stoßen und es alleine über 300 Seiten dauern, bis sie auf Bishops Identität kommen, so uninteressant wird es nach und nach, da man als Leser selbst alle Informationen ja bereits beisammen hat. Fast scheint es so, als hätte der Autor die Hexenjagd einfach so lange es geht in die Länge ziehen wollen.
In den letzten 100 Seiten allerdings hegt man die Hoffnung, dass das Herumschleichen umeinander endlich endet und die Action und Konfrontation beginnt. Aus diesem Grund steigt die Spannung am Ende sehr an und man malt sich wild aus, wie eine so klägliche Situation enden kann. Es wird absurder und abstruser.
Doch statt zu einem befriedigendem Ende zu kommen, hält der Autor an seinem Bild der Legende eines Mörders fest und sorgt somit dafür, dass die Handlung gar nicht zu einem wahrhaften Ende kommt. Tatsächlich ist man auf den letzten Seiten nur noch verwirrt und gleichsam verärgert, nach einem so langen Aufbau und so vielen Irrungen und Wirrungen keine klare Antwort erhalten zu haben.


Das Buch wird damit beworben, die Mutter aller Serienkiller-Romane zu sein. Angesichts des Brutalitätsgrades sowie der Orientierung an realen Serienmördern kann man das definitiv bestehen, denn selbst für heutige Verhältnisse hat dieser Roman Szenen, die man eher aus dem Festa-Verlag erwarten würde und keinem Mainstream-Verlag wie Heyne. Für Fans von Obszönität, stumpfer Gewalt und plakativen, psychisch gestörten Killern also ein gefundenes Fressen. Wer sich allerdings ein wenig schriftstellerische Rafinesse erwartet und gut ausgebaute Charaktere, denen man gerne bei ihren Ermittlungen folgt oder deren Verbrechen man aufgeregt begleitet. Denn dadurch, dass der Autor versucht, seine Geschichte sehr groß aufzuziehen und aus allen möglichen Sichten erzählt, verliert er leider den Leser auf halber Strecke und langweilt einen auf Dauer mit seiner ewigen Sucherei. Kein schlechtes Buch, wenn man sich einfach unterhalten lassen möchte, wenn dem Buch jedoch schon Etiketten wie ,,unzensiert'' und ,,Sie werden das Buch nie vergessen'' aufgesetzt werden, dann sollte man doch mehr erwarten können als einen Splatter mit pseudotiefgründigen gesellschaftlichen Umständen.



Ich gebe dem Buch:


3/5 Punkten


CU
Sana

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