Samstag, 15. Juni 2019

Passagier 23 | Fitzeks schlechtester Thriller [RANT]

[Rezension]

Grundwissen:


Titel♥: Passagier 23
Autor/-in♥: Sebastian Fitzek
Erschienen♥: Oktober 2014 im Droemer-Knaur-Verlag; 
Seitenanzahl♥: 426 Seiten
Genre♥: (Psycho)Thriller; Horror; Gore
Preis♥: 19, 99 € (Hardcover); 9, 99 € (Taschenbuch); kostenlos im Audible-Probemonat


Quelle: © Droemer Knaur Verlag
Quelle: © Audible GmbH






















Inhalt:

Martin Schwartzt, Polizeipsychologe, wird für so ziemlich jeden lebensgefährlichen Einsatz verprasst. Denn seit seine Frau Nadia Suizid auf einem Kreuzfahrtschiff begangen und ihren gemeinsamen Sohn mit in den Tod gerissen hat, hat er nichts mehr, was ihn am Leben hält. Doch nun bekommt er einen Anruf von einer Passagierin auf genau diesem Kreuzfahrtschiff, die angeblich weiß, was wirklich mit Nadia und Timmy passiert ist. 
Denn die beiden sind nicht die ersten, die auf der ,,Sultan of the Seas'' spurlos verschwunden sind - und Anouk, ein kleines Mädchen, das mit ihrer Mutter vor einem Jahr wie vom Erdboden verschluckt war, ist wieder aufgetaucht. Wie kann es sein, dass eine Tote auf einmal wieder lebendig ist? Und dass sie den Teddy seines verstorbenen Sohnes im Arm hat? 
Martin wollte eigentlich nie wieder einen Fuß auf dieses Schiff setzen - doch ihm bleibt keine Wahl ...


Meine Meinung ...


zum Buch:


Fitzeks Bücher sind Blockbuster-Material: schwindelerregend schnelles Tempo, eine Achterbahnfahrt an Twists, durchsetzt von dramatischen Schicksalen und Motiven. Wenn man das einmal, zweimal, dreimal liest, findet man seine Geschichten noch superspannend. Wenn man aber dieselbe Geschichte in anderer Ausführung zum sechsten Mal liest, wird es irgendwie langweilig.
Was aber, wenn man seine Bücher nicht liest, sondern hört? Audible hat ein Hörspiel basierend auf Passagier 23 erschaffen, das im Probemonat sogar gratis zu bekommen ist. Also was soll's? Vielleicht funktioniert ein Blockbuster-Buch besser, wenn man die Geräusche hört, verschiedenen Stimmen, die ein großes Rätsel zu enthüllen versuchen?

Wenn Audible das Beste am Buch ist

Ganz ehrlich: Wenn das Hörspiel nicht so gut produziert wäre, würde die Wertung dieser Geschichte vermutlich noch schlechter ausfallen. Denn das Hörspiel ist zum Großteil gut gestaltet: keine zu lauten Soundeffekte, einige gute Sprecher und eine gute Mischung aus Dialogen und Beschreibungen. Einzig der Sprecher der Hauptperson Martin hat eine sehr undeutliche und zu schnelle Aussprache, weswegen man an seinen Stellen öfters zurückspulen muss, um überhaupt den Sinn seiner Worte zu erfassen. Da hätte man wirklich einen besseren Sprecher casten können.
So oder so kommt man durch das Hörspiel schnell durch und hat es innerhalb weniger Tage durchgehört. Besonders wenn man in der Bahn sitzt oder auf dem Weg zur Arbeit kann man die Zeit somit schnell überbrücken.

Aber die Geschichte ist eben alles andere als gut. Es ist nicht nur aus den typischen Fitzek-Zutaten zusammengesetzt, die in meiner Rezension zu Der Seelenbrecher ausführlich beschrieben sind, auch sind sie diesmal außergewöhnlich schlecht umgesetzt. 
Wenn auch nicht unbedingt alles, denn der Hauptcharakter Martin Schwartz, der - wie für Fitzek charakteristisch - seine Familie verloren hat und dadurch eine sehr zynische Sicht auf die Welt entwickelt hat, ist besonders zu Beginn recht authentisch und bekommt, so schwer verständlich die Stimme des Sprechers auch ist, durch diesen etwas Abgeranztes und Abgekämpftes. Auch seine suizidalen Tendenzen durch das Annehmen lebensgefährlicher Aufträge und dass er sich um Schmerzen keinen Deut schert, fesselt einen zunächst an die Geschichte und kann durchaus Mitleid in einem erwecken.
Doch selbst Martins tragischer Hintergrund wird irgendwann von den wachsenden negativen Aspekten verdrängt.

Horror-Haus Effekte vom Oktoberfest

Große Hoffnungen setzt man natürlich von Anfang an in eine atmosphärische Beschreibung des Kreuzfahrtschiffs. Denn Fitzek hat durchaus zu dem Thema verschwindender Passagiere recherchiert und bereitet einem mit der Präsentation seiner Ergebnisse in diesem Buch definitiv Unbehagen. Denn wie kann es sein, dass so viele Menschen jährlich von so großen Schiffen einfach verschwinden? Entsprechend hat der Autor Platz für eine Menge Verschwörungstheorien, die in der Antwort auf die Frage nach Schwartz' Familie und dem wieder aufgetauchten Mädchen Anouk münden.
Doch bis auf diese realen Daten macht er leider einen eher schlechten als rechten Job, das Schiff zu beschreiben. Es hätte so viele Möglichkeiten gegeben, diesem luxuriösen Segler einen gewissen Grusel zu verleihen. Tausende von Gängen, die einem Labyrinth gleichen, ein heftiger Wind, der über die Reling bläst, die schwindelerregende Höhe und das kalte Wasser zehn Meter unter einem - das sind Faktoren, die das Setting mit genau dem Thrill versehen könnten, die es bräuchte. Doch leider vernachlässigt Fitzek diesen Aspekt seiner Geschichte stark, sodass man den Ort des Geschehens nach einer Weile vergisst.
Das, worauf er jedoch setzt, ist Horror, allerdings keinen, den man in einem Psychothriller erwartet. Angst, Schrecken, Psychoterror, die Abgründe der menschlichen Seele - all das bekommt man hier nicht. Es ist sogar schlimmer als das, denn anders als in seinen anderen Büchern wie Das Paket oder Die Therapie beweist er durchaus sein Verständnis für die menschliche Psyche; Himmel, sogar an Martin Schwartz sieht man das. Doch wenn er bei den anderen Figuren in diesem Buch versucht, ihnen Tiefgang zu verleihen und ihre Ängste zu nehmen und sie auf den Leser zu übertragen, dann scheitert er. Manche seiner Erklärungsansätze bestehen aus grausamster Küchenpsychologie, wobei besonders die Figur des depressiven Goth-Mädchens einfach nur ein beleidigendes Bild ist.
Worauf setzt Fitzek also dann, wenn es nicht Psychoterror ist? Gore. Brutalität. Folter.

Versteht mich nicht falsch, das kann natürlich spannend sein, aber nicht, wenn es so plakativ und repetitiv benutzt wird wie es in Passagier 23 der Fall ist. Morde, Selbstmorde, verschluckte Scherben, Missbrauch - kann man es noch mehr übertreiben? Viele Autoren nutzen diese Art von Gewalt, um den Leser zu schockieren, aber wenn der Leser irgendwann abstumpft, dann macht man definitiv etwas falsch.

Scheiß auf Logik und Realismus

Diese exzessive Gewalt für sich wäre noch nicht so schlimm, doch wer schon in anderen Fitzek-Büchern behauptet, er würde mit seinen Wendungen über die Stränge schlagen, der sieht sich in Passagier 23 einer ganz neuen Bandbreite entgegen! Schon nach der Hälfte des Buches hat man Vermutungen für die eigentliche Lösung, und dennoch bemüht sich Fitzek, dem Leser eine Augenbinde umzulegen und ihn derart oft zu drehen, dass man einen Brechreiz bekommt.
Die Handlungsstränge werden nur langsam zusammengeführt, weswegen von Anfang an viele Fragen aufgeworfen werden. Und zugunsten der billigen Horror-Effekte handeln viele Figuren entweder out of character oder vor dem Deckmantel des ,,vermuteten'' Autismus und Traumas total fragwürdig. Besonders das Vorschieben einer Entwicklungsstörung, um merkwürdiges oder pseudo-gruseliges Verhalten für den Plot zu legitimieren, kann einen recht wütend machen, besonders wenn man weiß, wie autistische oder traumatisierte Kinder sich normalerweise verhalten.
Daher scheint der Plot der reinen Willkür des Autors unterlegen und bietet einem selbst nach der eigentlichen Lösung noch eine zweite und dritte Enthüllung, die von Mal zu Mal abstruser werden. So ist das Finale leider auch kaum mit wirklicher Spannung verbunden, denn wenn im nächsten Kapitel sowieso alles über Bord geworfen wird, warum soll man sich dafür interessieren?

Die Rolle der Frau

Diese Sektion wird Spoiler beinhalten. Wer das Buch also trotz all der negativen Kritik lesen möchte, der sollte lieber ans farbig markierte Ende springen. Der größte Aufreger dieses Buches ist nämlich leider die Rolle der Frauenfiguren, die erstens keine große Komplexität aufweisen und zweitens alle über einen Kamm geschert werden.
Einige Fans feiern Fitzek sogar dafür, dass er ein Thema aufgreift, das von der Gesellschaft häufig vergessen oder ausgeblendet wird: Die Missbrauchsfälle, die nicht von einem Mann, sondern einer Frau begangen wurden. Weibliche Täterschaft allgemein wird im Regelfall nicht mal in Betracht gezogen, daher ist es super, wenn ein Autor sich traut, eine Frau nicht als Opfer, sondern Täter von sexuellem Missbrauch zu wählen.
Hätte er das auch nur ein Mal und mit einer entsprechenden Erklärung versehen, so wäre das Lob auch gerechtfertigt. Aber in diesem Roman hat jede Frau entweder ihr eigenes Kind vergewaltigt oder jemanden ermordet. Was soll diese Frauen-Verschwörung? Muss man nun wirklich jede Frau, entgegen aller Wahrscheinlichkeiten, zu einer durchgeknallten Straftäterin machen? Man kann ein Thema ansprechen und in sein Buch integrieren, aber wenn man es seinem Leser so um die Ohren haut, dann sorgt das zwar für Kontroverse, aber nicht für eine gut ausgeklügelte Geschichte.


Leider ist die Ausführung des Hörspiels das Beste an dieser Geschichte, die einen schnell und mit freudiger Erwartung durch diesen Clusterfuck an spontanen Gedanken, unnötiger Brutalität und dem Ausnutzen eines gesellschaftlich relevanten Themas für die pure Sensationsgeilheit leitet. Wer seinen Kopf wirklich komplett ausschalten kann und es total aufregend findet, durch unvorhergesehene Twists immer wieder in die Irre geführt zu werden, egal ob diese Twists Hand und Fuß haben, der wird sich in diesem Thriller vielleicht verlieren können. Wer aber eine gewisse Qualität sucht und einen Thriller liest, weil er spannend und ausgeklügelt und tiefsinnig ist, der wird hier nicht fündig werden. Der schlechteste Fitzek, den ich gelesen habe.


Ich gebe dem Buch:

2,5/5 Punkten

(Durch das Hörspiel hat es einen halben Punkt mehr, als es verdient.)


CU
Sana

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