Freitag, 3. Mai 2019

:)Rezension:): Dunkelgrün, fast Schwarz | Ein Meisterwerk

Grundwissen:



Titel♥: Dunkelgrün, fast Schwarz
Autor/-in: Mareike Fallwickl
Erschienen♥: März 2018 im Frankfurter Verlagsanstalt (Hardcover)
Seitenanzahl: 475 Seiten
Preis♥: 24, 00 € (Hardcover)
Genre♥: Belletristik; Drama; Coming of Age; Mystery



Quelle: © Frankfurter Verlagsanstalt



Inhalt:

Nun ist es an der Zeit, auszubrechen aus diesem Kreislauf, aus seiner Starre. Sich zu behaupten, nicht unterwerfen zu lassen, dieses Mal nicht. Dieses eine Mal nicht. Er wird nach Hause gehen, wird sagen, was er zu sagen hat, und nichts anderes einreden lassen, sich nicht umstimmen lassen. [...] Er wird sich befreien, jetzt. - S. 325f.

Mit einem Paukenschlag endete der Kontakt zwischen ihnen, und für fünfzehn Jahre war die toxische Freundschaft zwischen Moritz, Raffael und Johanna vergessen. Moritz, der sich stets seinem selbstbewussten und dominanten Freund unterordnete, hat sich ein eigenes Leben aufgebaut und steht kurz davor, Vater zu werden. Doch in einer stürmischen Nacht steht Raffael vor seiner Tür und bleibt ein paar Tage. Warum ist er zurückgekommen? Warum fühlt es sich an, als würde Moritz wieder in altvertraute Muster fallen? Und was hat damals dazu geführt, dass das toxische Trio sich trennte?



Meine Meinung ...




zum Buch:


Kaum etwas fasziniert Menschen (und Leser) so sehr wie komplexe Beziehungen von Personen untereinander, ganz besonders, wenn sie ein wenig ... anders sind. Der neueste Hype aus der Belletristik, Dunkelgrün, fast Schwarz, lebt von genau diesem Thema, und gestaltet es so großartig, dass der Hype definitiv gerechtfertigt ist.

Abhängigkeit gescheiterter Persönlichkeiten

Mareike Fallwickl erfindet das Rad definitiv nicht neu, denn diese Struktur einer toxischen Freundschaft hat man in der Literatur und im realen Leben schon häufig gesehen: der selbstherrliche und von nichts aus der Ruhe zu bringende Alpha sucht sich praktisch ein stilles und unsicheres Anhängsel, und entgegen aller Unterschiede in ihrer Persönlichkeit hält diese Freundschaft für viele Jahre stand. Man hätte daraus sehr leicht ein stereotypisches Element machen können, doch die junge Autorin schafft es, sowohl Raffael als auch Moritz so plastisch darzustellen, dass man nicht genug von ihrer Interaktion miteinander bekommt. Denn in einer solchen Konstellation fragt man sich als Mensch mit einem gesunden Selbstwertgefühl, was es dem schwächeren Part überhaupt gibt, diese Beziehung aufrechtzuerhalten, wenn man doch nur runtergemacht wird. In Dunkelgrün, fast Schwarz stellt man sich diese Frage kein einziges Mal, da die Autorin von Anfang an einen fantastischen Job macht, die Personen zu charakterisieren und zu beweisen, dass sie den Kern toxischer Freundschaften verstanden hat.
Denn Moritz, oder auch Motz, wie er von Raffael genannt wird, hat von Anfang an nicht die Chance zu lernen, wie man für sich selbst einsteht. Denn er wächst bei Marie auf, einer jungen Frau, die ungewollt schwanger wurde und nie wirklich ihren Platz im Leben gefunden hat, schon immer eine Persönlichkeit ist, die mit dem Strom mitschwimmt und nirgends richtig dazugehört. Auch aus ihrer Sicht erlebt man die Geschichte, und versteht dadurch umso mehr, wie die beiden Jungen zu den Personen heranwachsen können, die sie sind, und welche Rolle die Elternhäuser dabei spielen. Und obwohl der Leser tendenziell für starke Persönlichkeiten mehr Sympathien entwickelt als für schwache wie Marie und Moritz, so kann man die beiden und ihren Einfluss aufeinander sehr gut verstehen und emphatisch mit ihrer Unsicherheit und Angst, für sich selbst einzustehen, umgehen - und möchte Marie trotzdem schütteln dafür, dass sie manche Dinge nicht über die Lippen bringt. Doch genau das ist notwendig, um die Geschichte zu verstehen und wie sich Manches überhaupt entwickeln kann, daher ist es eine tolle und ungewöhnliche Idee der Autorin, diese Sicht hinzuzufügen.
Sie ist nämlich unglaublich gut darin darzustellen, wie schwache Persönlichkeiten sich an die Abhängigkeit klammern, für diese wenigen Augenblicke, in denen sie sich auserwählt fühlen und dafür auch Demütigungen und psychischen Missbrauch in Kauf nehmen. Wie gut es sich anfühlt, sich von einer Person dominieren zu lassen, weil man selbst nicht den Mut hat, die Zügel des Lebens in die Hand zu nehmen. Wie man sich ein Beispiel an der einen Person nimmt und doch weiß, dass man immer nur eine schlechte Kopie davon sein wird, und sich betrinken muss, um dies zu vergessen. Es ist die Abhängigkeit einer gescheiterten Persönlichkeit, die nur durch die Freundschaft mit einer solchen Person den Glanz von Erfolg und Selbstsicherheit abbekommen können. Und genauso, wie Moritz Raffael braucht, so braucht auch Raffael ihn, um sich daran zu erinnern, dass es Leute schlechter haben als er, der viel blendet und schauspielert, um das zu bekommen, was er will. 
Ein so komplexes Thema so facettenreich und verständlich für den Leser darzustellen, erfordert viel literarisches Geschick, und das kann man der Autorin definitiv zuschreiben.

Die Angst vor Perspektiven

Doch nicht nur Raf und Moritz stellt Fallwickl grandios dar, auch die Dritte im Trio, Johanna, ist eine vielschichtige und zutiefst gebrochene Figur. Ihre Perspektive kommt zwar erst später hinzu, zeigt an ihr jedoch das Ausmaß so toxischer Abhängigkeiten. Sie hat weder ein geregeltes Leben noch ein Ziel, worauf sie hinarbeitet; ihre Gedanken kreisen ausschließlich um Raf und dem Spiel, das sie schon spielen, seit sie als Teenager zu ihm und Moritz dazugestoßen ist. Wer aus ihrer Sicht liest, sollte sich definitiv auf harten Tobak gefasst machen, denn sie hat eine sehr destruktive und zynische Sicht auf die Welt, die einen sehr runterziehen, wenn nicht sogar triggern kann. Daher ist sie als Person sehr gewöhnungsbedürftig, macht einen ab und an auch stinkwütend, da sie selbst in der Dreierkonstellation kein Unschuldslamm ist, tut einem überwiegend aber einfach nur Leid. An ihr wird deutlich, wie wenig eine Person hat, wenn sie sich von einer anderen abhängig macht, und welche Angst man hat, sich zu neuen Ufern aufzumachen. Denn ohne ihn ist sie nichts, und sie spielen dieses Spiel schon so lange, dass sie gar nicht weiß, wie es ohne gewesen ist. 
,,Wenn du dich so lange gesehnt hast nach einem Moment, nach einem Wort oder zwei, dann ist ein Teil von dir erstarrt. Aus Eis ist er, blank und scharf und kalt. So schnell taut er nicht auf, vielleicht überhaupt nicht mehr, er bekommt höchstens einen Riss. Trotzdem wurde es warm in [ihr]. Trotzdem knackte es in [ihr].'' - S. 278
Doch die Angst vor diesen neuen Perspektiven und einen geregelten Ablauf in ihr Leben zu bringen, betrifft alle gleichermaßen. Raffaels Leben ist ein einziges Fragezeichen und geprägt von seinen Impulsen, und obwohl er der ,,Gewinner'' in dieser ungesunden Freundschaft ist, schafft es die Autorin doch in einem einzigen Moment, einen hinter die Fassade blicken zu lassen und wenigstens etwas Mitleid für ihn zu empfinden. Moritz hingegen steht kurz davor, ein Leben mit seiner Freundin und ihrem ungeborenen Kind anzufangen, und wird deswegen emotional vollkommen aus der Bahn geworfen beim Wiederauftauchen seines Jugendfreundes. Man würde ihn am liebsten schütteln, dass er sich direkt wieder in den Status quo von vor 15 Jahren einreiht, möchte erfahren, woran es lag, dass sie alle den Kontakt abgebrochen haben, um ihm gute Gründe zu liefern, Raffael rauszuschmeißen, und würde seine Freundin, die er von dort an vernachlässigt, vor ihm beschützen. Und derart viele Emotionen zu erwecken, von Abscheu über Wut bis hin zu Verständnis und Mitgefühl, ist eine literarische Meisterleistung.


Mystery und Auflösungsschwierigkeiten

Man ist somit nicht nur emotional vollkommen hingerissen und lässt sich von der Lebendigkeit all dessen einfangen, auch der Mysteryaspekt lässt einen kontinuierlich weiterlesen. Wie passt das alles zusammen? Werden die parallelen Handlungsstränge aus Vergangenheit und Gegenwart ineinander überlaufen? Warum hat Raf Moritz aufgesucht? Und die größte Frage: Warum haben sie sich alle getrennt? Die Autorin lässt sich sehr viel Zeit damit, diese Fragen zu beantworten, sodass es zwar durch die Dynamik der Charaktere sehr spannend bleibt, verhältnismäßig so aber lange braucht, um in die Gänge zu kommen. Auch die Enthüllung des großen Geheimnisses um die Trennung der drei Hauptcharaktere hätte angesichts all der Zeit, die sich die Autorin zum Aufbau dieser Spannung nimmt, wesentlich größer wirken sollen. Denn ja, es ist im Allgemeinen eine ruhige Geschichte, die von ihren lebensnahen Figuren und ihren Beziehungen lebt, allerdings hätte man genau deswegen einen dramatischeren Höhepunkt erwartet. Es muss kein Rennen im Regen sein oder eine Prügelei oder sonstiges, aber die Art und Weise, wie es letztlich aufgelöst wurde, hat nicht so viel Kraft, wie es eigentlich hätte haben können. 
Und so viel Zeit sich die Autorin zur Etablierung des Ganzen nimmt, so abrupt endet die Geschichte. Vielleicht passt es sogar, wenn man bedenkt, wie lange sich die Figuren mit diesen essentiellen Fragen beschäftigen und untereinander leiden, vielleicht möchte man dann alles so schnell wie möglich hinter sich bringen, für die Lesererfahrung ist dies allerdings nicht ganz so befriedigend.
Und während das Ende für eine der drei Personen sehr zufriedenstellend ist und einen mit einem Lächeln auf dem Gesicht zurücklässt, kommt das Ende für zwei andere zu plötzlich und ist für mich persönlich zu utopisch. Damit wird etwas suggeriert, dass in den seltensten Fällen bei so einer ungesunden Konstellation möglich ist, und das hinterlässt einen doch mit der leisen Ahnung, dass die Autorin einfach keine andere Option für die beiden auswählen wollte, da es nochmal mindestens fünfzig bis hundert Seiten Handlung bedurft hätte.


Alles in allem ist Dunkelgrün, fast Schwarz eine faszinierende Charakterstudie mit dramatischen und mysteriösen Elementen, die für jedermann etwas bereithält. Es ist eine Geschichte über Freundschaft, das Scheitern im Leben, ungenutzte Chancen und die Bereitschaft, für sich einzustehen, sodass sowohl Erwachsene sich in den Figuren wiederfinden können wie auch Jugendliche in den Coming-of-Age-Aspekten der Handlung. Wer sich für toxische Beziehungen interessiert und der einen Schreibstil, der zwischen poetisch und dreckig fließend hin und her wechseln kann, nicht abgeneigt ist, für den ist dieses Buch ein gefundenes Fressen. Eine absolute Empfehlung!


Ich gebe dem Buch:



4,5/5 Punkten


CU
Sana

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